1923: „Die Republik ist die Ader eines Landes“ (Mustafa Kemal)

1914 – 1923: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der Republik Türkei

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Zum Abschluss dieser Artikelserie über den Weg der Türkei zur Republik ist Laytmotif vor Ort: In den Tagen vor dem 100. Republikgeburtstag ist das Jubiläum allgegenwärtig. Schon im Magazin der Fluggesellschaft ist auf deutsch, englisch und türkisch zu lesen: „Am 29. Oktober feiert Türkiye den 100. Geburtstag der Republik, ein bedeutendes Ereignis, das ein Jahrhundert des Fortschritts markiert.“ Yayla, die deutsche Firma für türkische Lebensmittel, verzichtet im Magazin auf Produktwerbung und wünscht stattdessen im Stil eines Bulletins „Nice yüzyıllara“, noch viele weitere 100 Jahre. Am ehemaligen deutschen Konsulat in İzmir dann beglückwünscht ein Großbildschirm „unsere Republik“ zu ihren 100 Jahren.

Kemeraltı, İzmir, Oktober 2023
Kemeraltı, İzmir, Oktober 2023

Der Republikgründer Atatürk ist überall im Stadtbild von Izmir präsent; #aslavazgeçmem, Ich gebe niemals auf, Ich lasse niemals ab, beteuert der Hashtag auf den Plakaten. Gläserserien feiern im Supermarkt das Jubiläum. Wimpelketten werden aufgehängt, Gebäudefassaden rot angestrahlt. Die Bildschirme der Fährstationen verkünden ein Zitat von Atatürk: „Cumhuriyet Bir Ülkenin Damarıdır“, „Die Republik ist die Ader eines Landes“. Ausstellungen wie „Bir Millet Uyanıyor“, Eine Nation bzw. ein Volk erwacht, stellen die Befreiung vom europäischen Imperialismus und den Beginn der Souveränität dar. Die Türkiye Komünist Partisi erklärt auf Plakaten: „Die Republik ist für das Volk, der Sozialismus ist für die Republik“. Aus Autolautsprechern und Kindergärten, an Fährstationen und im Fernsehen erklingt „Yaşa Mustafa Kemal Paşa yaşa“, Lang lebe Yaşa Mustafa Kemal Pascha, der äußerst populäre und eingängige İzmir Marşı (Video mit deutschen Untertiteln). Passt zu Laytmotif: Das türkische marş ist vom deutschen Marsch abgeleitet, und eine Theorie schreibt die Komposition von 1923 dem deutschen Komponisten Kurt Striegler aus Dresden zu. Auch TV-Werbung nutzt den Marsch; Jubiläumsglückwünsche sind sowieso in praktisch alle Werbespots filmisch-episch eingewoben: MediaMarkt ist schon so rotweiß wie die türkische Flagge und adaptiert seine Farben für ein glühendes Bekenntnis zur Republik. Ein großes Bekleidungsunternehmen postuliert „100 Yıldır Bize En Yakışanı Centilmenlik“, „Seit 100 Jahren ist das, was uns am besten steht, Ritterlichkeit“, oder wie man Centilmenlik übersetzen will, vielleicht auch Gentlemen-lichkeit (Video auf Youtube, ab 00:34 wird es republikanisch). Das offizielle Signet des Jubiläums, eine 100, deren Nullen aus dem Unendlichkeitszeichen gebildet werden, das in Halbmond und Stern ausläuft, ist omnipräsent. Der Republikgeburtstag entwickelt einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann.

Çatı Bostanlı, İzmir, Oktober 2023
Çatı Bostanlı, İzmir, Oktober 2023

Die in dieser Artikelserie erkundeten zehn Jahre seit Beginn des I. Weltkriegs bis zum Jahr der Republikgründung lassen ahnen, warum die Verbundenheit mit dieser Republik hier so eng erscheint, bestärkt natürlich auch durch 100 Jahre kommunikative und politische Aufladung der Geschichte. Die Republik scheint hier nicht so sehr eine Regierungsform zu meinen. Republik ist in der Türkei vor allem Sinnbild für ein hart erkämpftes und geschickt verhandeltes souveränes, unabhängiges Staatsgebilde. Eines der Tore des Kültürparks in Izmir heißt Lozan Kapısı (Lausanne-Tor), eines von fünf insgesamt, neben dem Montrö Kapısı (Montreux-Tor), 9 Eylül Kapısı (Tor des 9. September), Cumhuriyet Kapısı (Republik-Tor) und 26 Ağustos Kapısı (Tor des 26. August). Die September- und Augusttore verweisen auf militärische Erfolge, die Verträge von Lozan/Lausanne (offizielle Vertragstexte) werden danach zum entscheidenden diplomatischen Baustein auf dem Weg zur Republikgründung.

Montrö Kapısı, İzmir, Oktober 2023
Lozan Kapısı, İzmir, Oktober 2023

Die 1922 begonnenen Lausanner Konferenzen werden von April bis Juli 1923 fortgesetzt. Die Weimarer Republik war keine offizielle Konferenz-Teilnehmerin; trotzdem gelang es deutschen Politikern im Umfeld der Konferenzen mit türkischen Amtsträgern zusammenzukommen, inoffizielle und informelle Gespräche zu führen. Sabine Mangold-Will beschreibt in ihrem Buch „Begrenzte Freundschaft. Deutschland und die Türkei 1918-1933“ detailliert die vielfältigen kleinen, geheimen, versteckten Kontakte zwischen deutschen und türkischen Politikern und anderen Stakeholdern am Rande dieser Konferenzen, in Vorbereitung auf erneuerte Zusammenarbeiten in weniger regulierten Zeiten. Die Türkei wollte diplomatische Beziehungen zu Deutschland – aber diesmal auf gleichberechtigter Ebene. Die neuen Führungskräfte treten, offensichtlich anders als ihre osmanischen Vorgänger, selbstbewusst auf (Mangold-Will, S. 104 ff.).

Die jetzige Regierung stehe auf dem Standpunkt, daß Deutschland und die Türkei sich auch ín Zukunft in friedlichem wirtschaftlichem und kulturellem Austausch einander viel zu geben, sich gegenseitig zu ergänzen hätten.
Legationsrat Curt Prüfer zu Ismet (Inönü) Pascha, Juli 1923, Lausanne (Mangold-Will, S. 110)

Am 24.7.1923 wird der Vertrag von Lausanne unterschrieben, von der Türkei, Großbritannien, Frankreich, Italien, Griechenland, Rumänien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Wenn auch die ölreichen arabischen, ehemals osmanischen, Gebiete in der Einflusssphäre Frankreichs und Großbritanniens verbleiben, vergrößert die Türkei im Vergleich zu früheren Nachkriegsvertragswerken das ihr zugestandene Staatsgebiet deutlich; eigenständige kurdische und armenische Territorien sind kein Thema mehr (vgl. Wikipedia-Karte). Teil der Verträge ist ein weitreichender Bevölkerungsaustausch: Die Konvention über den Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei war schon im Januar unterzeichnet worden. Basierend auf der Zugehörigkeit zu ihren Religionen müssen mehr als eine Million griechisch-orthodoxe Griech*innen von Gebiet der heutigen Türkei und 400.000 muslimische Türk*innen aus dem heutigen Griechenland ihre zum Teil seit Jahrhunderten besiedelten Heimaten verlassen. Thessaloniki in Griechenland, ehemals osmanisch und Geburtsstadt Atatürks, ist das Ziel vieler griechischer Aussiedler*innen und bis heute voller Sehnsucht nach der alten Heimat. Es wird so eine souveräne türkische Nation geformt, die ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln werden würde, eine Nation, die sich heute in großen Teilen unter einer Flagge und hinter einem Staatsgründer versammelt.

Gazi Bulvarı, İzmir, Oktober 2023
Gazi Bulvarı, İzmir, Oktober 2023

Vor der Unterzeichnung der Verträge und der Ausrufung der Republik hatte es im Juni 1923 noch eine Parlamentswahl gegeben. Zur Wahl war nur eine Partei zugelassen, die Vereinigung zur Verteidigung der Rechte Anatoliens und Rumeliens, die politische Vertreterin der türkischen Unabhängigkeitsbewegung unter Mustafa Kemal. 1923 zur politischen Partei erklärt, geht aus ihr die Halk Fırkası, Volkspartei, hervor, die sich im Jahr darauf zur Cumhuriyet Halk Fırkası, umbenennt. Diese Partei, später die Cumhuriyet Halk Partisi (CHP), wird mit ihren Führern Atatürk und Inönü bis 1946 das Einparteiensystem in der Türkei prägen. In den letzten türkischen Parlamentswahlen 2023 hat die CHP erneut gegen die AKP verloren.

Bir Millet Uyanıyor, Ausstellung in Bostanlı, İzmir, Oktober 2023
Bir Millet Uyanıyor, Ausstellung in Bostanlı, İzmir, Oktober 2023

Das 1923 eröffnete Versammlungsgebäude der CHP in Ankara, geplant vom Architekten Vedat Tek, wird ab 1924 für viele Jahre das Versammlungsgebäude des türkischen Parlaments, bis es in das von Clemens Holzmeister entworfene Gebäude umzieht. Ankara war für die Jahre des Unabhängigkeitskrieges das zunächst provisorische Zentrum der oppositionellen Regierung – eine Notwendigkeit, weil Istanbul von britischen, griechischen und anderen Truppen besetzt war. Am 1. Oktober 1923 verlassen die letzten Besatzungstruppen Istanbul. Mit der Räumung durch die Alliierten in Folge der Lausanner Verträge im August 1923 fällt nun zwar ein Argument für Ankara weg – die gefährlich nahe Lage Istanbuls zu den alten Feinden allerdings, ihre Randlage in der neuen Türkei, ihre geografische und politische Distanziertheit zur (mehrheitlich anatolischen) Bevölkerung bleiben allerdings bestehen. Der deutsche (und osmanische) Militär Freiherr von der Goltz hatte schon 1897 gesagt:

Constantinopel gleicht der Sirene des Ostens, welche alle ins Verderben zog, die sich von ihr anlocken ließen […] Ein großer Fürst, der die Rettung des Reiches und seine Umwandlung mit heiligem Ernst in Angriff nehmen wollte, müsste die Hauptstadt auf die Grenze der türkischen und arabischen Reichshälfte verlegen.
Freiherr von der Goltz (Jäschke, S. 86)

Noch vor der Ausrufung der Republik wird Ankara so am 13. Oktober 1923 zur offiziellen Hauptstadt erklärt. Istanbul/Konstantinopel, seit nach der Einnahme durch die Osmanen unter Mehmet II. 1453 Hauptstadt des Osmanischen Reichs, verliert diesen Status nach 470 Jahren. Diese Entscheidung für eine kleine, klimatisch ungünstige, von Malaria bedrohte, 1917 in großen Teilen durch einen Brand zerstörte Stadt im anatolischen Kernland würde wenig später einen Bauboom unter Einbeziehung deutscher Architekten auslösen (mehr auf Laytmotif). Die städtebaulichen Planungen begannen quasi unmittelbar; schon im folgenden Jahr entwickelte der deutsche Architekt Carl Christoph Lörcher im Auftrag der türkischen Regierung einen ersten Aufbauplan für Ankara (mehr auf goethe.de). Der turkophile Turkologe und „Orientalist“ Gotthard Jäschke nannte Ankara die „Stadt der Wiedergeburt des türkischen Volkes“ (Jäschke, S. 92).

Göztepe, İzmir, Oktober 2023
Göztepe, İzmir, Oktober 2023

Die Geburt oder Wiedergeburt, je nachdem, des türkischen Volkes, wird trotz aller anderen davor zeremoniell gefeierten Meilensteine heute auf den 29. Oktober 1923 datiert, den Tag der Ausrufung der Republik. Ein politischer Verfassungsakt, der heute das wohl wichtigste Datum der Türkei darstellt. Artikel 1 der bereits seit 1921 existierenden vorläufigen Verfassung wird dafür ergänzt und geändert: „Die Staatsgewalt steht uneingeschränkt und bedingungslos der Nation zu. Das System der Verwaltung beruht auf dem Grundsatze, daß das Volk selbst tatsächlich seine Geschicke lenkt. Die Regierungsform des türkischen Staates ist die Republik.“ (verfassungen.eu). In seiner Rede zur Wahl zum Präsidenten dieser Republik sagt Mustafa Kemal (Atatürk) voraus: „Die Türkische Republik wird glücklich, erfolgreich und siegreich sein.“ (Jäschke S. 86).

Café in Alsancak, İzmir, Oktober 2023
Café in Alsancak, İzmir, Oktober 2023

Türkiye Cumhuriyeti ist ihr amtlicher türkischer Name, als T. C. heute Vorsatz vieler offizieller Begriffskombinationen, z. B. von T. C. Kültür ve Turizm Bakanlığı, das Kultur- und Tourismusministerium der Türkei. Auf Türkisch heißt Republik also cumhuriyet, vom arabischen ğumhûr für Volk und Volksmassen (Kreiser, S. 43). Halten wir fest, dass sich die Republikgründer hier zumindest im Wortgebrauch nicht nach der westlichen Lesart von Republik richteten: Die Mutter aller modernen Republiken, die République française, schafft es trotz aller geschichtlichen Verbindungen des Osmanischen Reichs zu Frankreich nicht, auch Inspiration für das Wort Republik im Türkischen zu sein. So gibt es also zwar das türkische Wort lüks (von franz. luxe, Luxus), repüblik aber nur in der Welt-Kunstsprache Volapük. Die erste türkische islamische Republik war die T. C. allerdings nicht: 1918 bis 1920 bestand die Demokratische Republik Aserbaidschan (aserbaidschanisch: Demokratik Cumhuriyyəti Azərbaycan), verschluckt von der Sowjetunion, als Azərbaycan Respublikası seit 1991 wieder eigenständig und heute enger Partner der Türkei, z. B. in Organisationen der Turkstaaten wie dem Türkischen Rat und Türksoy.

Cumhuriyet Meydanı, İzmir, Oktober 2023
Cumhuriyet Meydanı, İzmir, Oktober 2023

Während die Türkei zu neuen Ufern aufbricht, wird das Jahr 1923 für die andere nach dem I. Weltkrieg entstandene Republik eines Kriegsverlierers existenzbedrohend. Die Historikerinnen sind sich einig: 1923 ist ein extremes Krisenjahr für die Weimarer Republik. Die Hyperinflation hat das Wirtschaftsleben fest im Griff, ein Dollar wird am Ende Billionen von Papiermark kosten. In der sogenannten Ruhrkrise besetzen französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet, weil Deutschland seinen Reparationsleistungen nicht nachgekommen war. Und im Hitlerputsch von München versucht Hitlers NSDAP die Macht zu ergreifen.

Wir erschrecken noch heute über ein Land [die Weimarer Republik], in dem Hass und Gewalt, Straßenkämpfe und Attentate, Parteiverbote, Putsche und rechtslastige Prozesse Ausdruck innerer Unzufriedenheit und Uneinigkeit waren. Deutschland stand im Herbst 1923 am Abgrund.
Peter Reichel, Rettung der Republik? Deutschland im Krisenjahr 1923 (deutschlandfunk.de)

Wie der Historiker Stefan Ihrig in seinem Buch „Atatürk in the Nazi Imagination“ (Interview auf zeit.de) beschreibt, schauen die Nazis (und sicher auch andere Nationalisten) 1923 sehr genau nach Ankara, bewundern Atatürk, der das Osmanische Reich von einem Verlierer des I. Weltkriegs in eine offensichtlich selbstbewusste souveräne Türkei transformiert hatte. Ein Hans Tröbst, „Nazi der ersten Stunde“, der im türkischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte, veröffentlicht in der völkischen Wochenzeitung Heimatland 1923 eine Artikelserie „Mustafa Kemal Pascha und sein Werk“. Die Serie gipfelt im Titelblatt „Her mit der Angora-Regierung“ als Vorbild für auch eine deutsche Souveränität. Auch der türkische Autor Sabahattin Ali beschreibt in seinem in den 1940ern erschienenen Roman „Die Madonna im Pelzmantel“, wie das kaputte Deutschland in den 1920ern versucht, vom Sieg der türkischen Befreiungsarmee zu lernen. Und die auf Eis gelegten Beziehungen wiederzubeleben: 1923 wird die erste deutsch-türkische Handelskammer gegründet, gewissermaßen die kleine Nachfolgerin der ehemals so einflußreichen Deutsch-Türkischen Vereinigung, die wohl noch existiert, aber kaum noch Spuren hinterlässt. Deutsche Handelsschiffe dürfen mit der Republikgründung wieder in türkischen Häfen anlegen. Die mit dem Kriegsende ausgewiesenen Bosporous-Deutschen können zurückkehren, deutsche Schulen werden wiedereröffnet (vgl. Begegnungen, S. 107ff.).

TV-Werbung von MediaMarkt, Oktober 2023
TV-Werbung von MediaMarkt, Oktober 2023

Und damit endet diese Artikelserie. „Sana ne?“, „Was geht es Dich an?“ hatte meine türkische Freundin vor zehn Jahren gesagt, als ich ihr von meinem Plan berichtete, eine 10-Jahres-Chronik bis zur Gründung der türkischen Republik zu schreiben. Was geht es uns an? Diese Republikgründung und ihre Vorgeschichte führten zu neuen gemeinsamen Geschichten, mit deutsch-österreichischen Architekten, die die Architektur der jungen Republik prägten, deutschen Emigranten, die dort vor den Nazis Schutz suchten, Menschen mit familiären Wurzeln in der Türkei, die unter oft unwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen die Wirtschaft Westdeutschlands mit aufbauten, und solchen, die heute deutsche Theater leiten, Oberbürgermeister, Künstlerinnen, Studierende und Sachbearbeiter in deutschen Städten sind – und meine Freunde.

Es wird dekoriert, Alsancak, İzmir, Oktober 2023
Es wird dekoriert, Alsancak, İzmir, Oktober 2023

PS:
Neben großen, staatstragenden Jahrestagen ist 1923 auch wichtiges Datum in der verwobenen deutsch-türkischen Geschichte sogenannter kleiner Leute. Der schon erwähnte Achmed Talib, 1917 in einem Lehrlingsaustausch nach Deutschland gekommen, wird 1923 seinen Meister verlassen – aber nie nach Istanbul zurückkehren. Sesshaft wird er in Fürstenwalde. Er verliert die türkische Staatsbürgerschaft, bekommt wegen der Machtergreifung der Nazis nicht die deutsche Staatsbürgerschaft, ist für Jahrzehnte staatenloser Ausländer, bis ihn die DDR 1961 einbürgert. Die Familie seiner Schwester lebte seit den 1960ern in Westdeutschland. Achmed Talib wird 1983 in Fürstenwalde, DDR, beerdigt (die ganze Geschichte).

PPS:
Fast hätte es auch Montrö, der Vertrag von Montreux von 1936, noch in diese Artikelserie geschafft, der die Lausanner Regelungen zu den Dardanellen, zu Marmarameer und Bosporus aufhob, und der Türkei damit zwar die volle Souveränität über diese Meerengen zurückgab – aber bis heute gebührenfreie Durchfahrt für den internationalen Schiffsverkehr vorschreibt. Gegenwärtig wird an einem zweiten, parallelen „Bosporus“ gebaut, dem künstlichen Istanbul-Kanal, der der Türkei erlauben würde, Gebühren für dessen Durchfahrt zu erheben. Anders als mal angekündigt ist der Istanbul-Kanal allerdings nicht zum 100. Republikgeburtstag fertig geworden.

Alsancak, İzmir, Oktober 2023
Alsancak, İzmir, Oktober 2023

Zum Weiterlesen:
Jäschke, G.: Wie wurde die Türkei eine Republik und Ankara ihre Hauptstadt? In: Paul Leidinger, P.; Hillebrand, U. (2017) Deutsch-Türkische Beziehungen im Jahrhundert zwischen Erstem Weltkrieg und Gegenwart: Grundlagen zu Geschichte und Verständnis beider Länder.
Kreiser, K. (1992) Kleines Türkei-Lexikon: Wissenswertes über Land und Leute
Mangold-Will, S. (2013) Begrenzte Freundschaft. Deutschland und die Türkei 1918-1933

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