1921: In Berlin wird ein osmanischer Großwesir ermordet und in Gaziantep das Mauser-Gewehr aus der Hand gelegt

1914 – 1923: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der Republik Türkei

1914 | 1915 | 1916 | 1917 | 1918 | 1919 | 1920 | Teil 8: 1921 | 1922 | 1923

Für 1921 werden die Spuren deutsch-türkischer Verbindungen spärlicher, in diesem dritten Jahr nach dem Ende des I. Weltkriegs und der Kappung der offiziellen deutsch-osmanischen Beziehungen durch die Siegermächte. Es gibt nicht mehr viel Deutsch-Türkisches zu berichten – wenn auch das Berliner Attentat auf einen ehemaligen Innenminister und Großwesir des Osmanischen Reichs Schlagzeilen machte. Während die Weimarer Republik zwischen den Kriegen wirtschaftlich zu prosperieren begann, werden auf dem Gebiet des sich auflösenden Osmanischen Reichs im türkischen Unabhängigkeitskrieg entscheidende Schlachten geschlagen, weiter auch mit Waffen aus Deutschland. So wird auch dieses Jahresblatt auf dem Weg zur Türkischen Republik wieder vor allem eine Kriegs- und Waffenberichterstattung sein, mit Spuren, die bis in die Gegenwart reichen.

So friedlich? Istanbul, Collier's new encyclopedia 1921, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43516609
So friedlich? Istanbul, Collier’s new encyclopedia 1921, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43516609

„Ältere türkische Lyrik“, „Einführung in das Osmanisch-Türkische“, „Türkische Schriftlehre“, „Lektüre eines älteren türkischen Dichters“, „Der allgemeine Zustand der Türkei“ und „Türkische Konversation“ stehen im Sommersemester 1921 an der Universität Hamburg auf dem Lehrplan – natürlich finden sich in diesen Jahren immer auch unpolitische und nichtmilitärische Aktivitäten, über die es sich berichten lässt. Wie unpolitisch und nichtmilitärisch der Ursprung dieser Kurse war, ließe sich dabei allerdings durchaus hinterfragen. Denn die Universität folgt damit einer schon 1909 begründeten Tradition: Seit damals war am Kolonialinstitut Hamburg Türkisch unterrichtet worden. Das Kolonialinstitut ging – Deutschland war nach dem I. Weltkrieg keine Kolonialmacht mehr – in der 1919 gegründeten Universität auf. Nun war das Osmanische Reich zwar selbst nie per Definition Kolonialmacht, noch war es offiziell Kolonie des Deutschen Reichs. Die bis 1918 bestehenden vielfältigen, von Deutschland dominierten und diktierten Wirtschaftsbeziehungen mit einem industriell schwachen und verschuldeten Osmanischen Reich lassen allerdings die Eingliederung des Türkischen in ein Kolonialinstitut durchaus plausibel erscheinen.

Auf dem Feld der Kultur spielt 1921 auch Muhsin Ertuğrul, der im letzten Jahr auf Laytmotif vorgestellte Pionier des türkischen Films, wieder eine Rolle: Und zwar als Schauspieler zusammen mit Margit Barnay, Ilse Wilke und Robert Scholz in dem von ihm in Berlin gedrehten – kaum Spuren hinterlassenden – Film Samson. Im selben Jahr hatte er eine eigene Produktionsfirma, die Stambul Film, gegründet. Sicher sammelte er dabei wertvolle Erfahrungen für seine spätere Arbeit in der jungen türkischen Republik: Filme wie der für 1920 schon erwähnte „Bir Millet Uyanıyor“ (Eine Nation erwacht), mit Atatürk in einer Nebenrolle, oder „Zafer Yolları“ (Wege des Sieges), aus dem Jahr der Republikgründung 1923, verbinden die Kultur auch bei Ertuğrul mit Krieg und Sieg.

Straßenkinder, Istanbul 1921. Library of Congress https://lccn.loc.gov/2010650581
Straßenkinder, Istanbul 1921. Library of Congress https://lccn.loc.gov/2010650581

Der Architekt Bruno Taut, dessen Bauten später die Architektur der jungen türkischen Republik prägen sollte, tritt 1921 das Amt des Magdeburger Stadtbaurats an – wie unbeschwert klingen doch „Gartenstadt-Bewegung“ und „Bunte Stadt Magdeburg“! Das hört sich nach den (offiziell erst 1924 beginnenden) Goldenen Zwanzigern in Deutschland an, gerade im Vergleich zum weiter kriegsgeplagten Osmanischen Reich. Der Krieg und die Erinnerung daran ist aber auch in Deutschland nie weit weg: Die Reparationsleistungen an die Siegermächte belasten den Aufschwung und führen zu wirtschaftlichen Verwerfungen wie einer beginnenden starken Inflation. Politische Kräfte nutzen die Niederlage im Krieg und die Reparationsbedingungen im Versailler Vertrag als Brandbeschleuniger für ihre Propaganda. Eines der ersten Projekte Tauts in Magdeburg ist der Plan eines nie realisierten Gefallenendenkmals – zu den beiden Polen der Kriegserinnerung schreibt der Architekt in seiner Zeitschrift Frühlicht 1921:

„Die einen wünschen eine Heroisierung der grausigen Vorgänge und die Vergöttlichung ihrer Opfer, die anderen grausige Zeichen zur Erinnerung an dieses Geschehen, Zeichen, welche die Erinnerung an seine Furchtbarkeit niemals erlöschen lassen sollen.“

Adolf Hitler wird 1921 Vorsitzender der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Nach der Machtergreifung durch die Nazis 12 Jahre später wird Taut Hitlerdeutschland verlassen und 1938, kurz nach dem Entwurf des Katafalks für den verstorbenen Atatürk, in der Türkei sterben (Mehr zu Bruno Taut in der Türkei auf Laytmotif).

Auch wenn es 1921 keine offiziellen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei gibt, durfte doch deutsche Kriegserinnerungsarbeit in Istanbul auch in diesen Zeiten stattfinden und 48 deutsche Soldatengräber vom Protestantischen Friedhof Feriköy (Feriköy Protestan Mezarlığı) nach Tarabya überführt werden. Die historische Residenz des deutschen Botschafters in Istanbul/Tarabya beherbergt heute nicht nur die Kulturakademie Tarabya mit einem Stipendienprogramm zum deutsch-türkischen Kulturaustausch; auf ihrem Gelände gibt es seit 1915 auch einen deutschen Soldatenfriedhof. Seit den 1980ern hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (Slogan: „Gemeinsam für den Frieden“) Tarabya zur zentralen Kriegsgräberstätte für die Türkei ausgebaut, eine von 832 Kriegsgräberstätten mit über 2,8 Millionen Kriegstoten in 46 Staaten weltweit.

Adana 1921 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23387568
Adana 1921 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23387568

Am 15. März 1921 erschießt der Armenier Sologhmon Tehlirian in der Berliner Hardenbergstraße Mehmed Talât Pascha, ehemaliger Innenminister und Großwesir des Osmanischen Reichs und Führer der Jungtürken. Talât Pascha lebte seit Oktober 1918 im Berliner Exil, aus Konstantinopel geflüchtet kurz vor der endgültigen Kapitulation des Osmanischen Reichs im I. Weltkrieg. Er war, auch gedeckt und unterstützt vom deutschen Militär, einer der Hauptverantwortlichen für die Vertreibung und Vernichtung der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reichs im I. Weltkrieg. Am 2. Juni wird in Moabit der Prozess gegen Tehlirian eröffnet. Der Attentäter, wie sich später herausstellte Mitglied einer armenischen Geheimorganisation, verteidigt seine Tat als gerechte Strafe für Talât Paschas Schuld und wird nach kaum zwei Tagen freigesprochen. Der deutsche Regisseur Hans-Werner Kroesinger, Tarabya-Stipendiat 2013 und 2014, hat die Prozesstranskripte und Dokumente aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes ausgewertet und in seinem Stück History Tilt verarbeitet, ein „Stück über das Schweigen zum Völkermord an den Armeniern“.

Armenien, Aserbaidschan, der Kaukasus: Länder und Regionen, die auch heute noch die Nachrichten bestimmen. Gerade erst, im Januar 2022, wurde in Moskau der Dialog zwischen der Türkei und Armenien wieder aufgenommen, zur Annäherung in einem seit den Jahren des I. Weltkriegs massiv belasteten Verhältnis. Wieder Diplomatie in Moskau also: Schon vor 100 Jahren wurde in Moskau verhandelt und im Ergebnis am 16. März 1921, einen Tag nach dem Attentat in Berlin, der Vertrag von Moskau unterschrieben. Vertragspartner waren die bolschewistische sowjetische Regierung um Lenin und Stalin und die im Krieg stehende Regierung in Ankara unter Mustafa Kemal, dem späteren Atatürk. Denn es gibt für letztere nun einen neuen Verbündeten, nachdem das Deutsche Reich als Partner ausgefallen war: die Sowjetunion. Der Vertrag von Moskau war der erste international ratifizierte Vertrag eines Staates mit der Regierung von Mustafa Kemal. Dieses offiziell Freundschafts- und Brüderlichkeitsvertrag genannte Abkommen, Türkiye – Sovyet Rusya Dostluk ve Kardeşlik Antlaşması, ordnete zusammen mit dem Vertrag von Kars aus demselben Jahr die Lage an der Ostgrenze der Türkei zur Sowjetunion und zog die – mehr oder weniger – bis heute gültigen Grenzen von Georgien, Armenien, Aserbaidschan und der Autonomen Republik Nachitschewan. Und es beinhaltete eine Finanzierung der Ankara-Regierung durch die Sowjetunion, dringend benötigt, um den türkischen Unabhängigkeitskrieg weiterführen zu können.

Vertrag von Moskau, März 1921. https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17539860
Vertrag von Moskau, März 1921. https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17539860

Dass Armenien und die Türkei dieser Tage in Moskau verhandeln, dass der türkische Generalkonsul in München heute noch einen 100 Jahre alten Vertrag feiert, dass sich Putin und Erdoğan häufig treffen, zeugt von erneuerten Allianzen, aber auch neuen Machtbestimmungen im Südkaukasus und darüber hinaus, mit Russland, der Türkei, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und auch dem Iran am Zuge (mehr auf nzz.ch, 17.1.2022). Auch die „Organisation der Turkstaaten“, gegründet 2009 in der umstrittenen Enklave Nachitschewan, zeugt von einem bis heute starken Interesse an einem wegen seiner Bodenschätze und strategisch günstigen Handelswege bedeutenden Zentralasien. Im November 2021 unterschreiben die Mitgliedsländer der „Organisation der Turkstaaten“ Türkei, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan, mit den Beobachtern Ungarn und Turkmenistan, eine Absichtserklärung mit dem Titel „Turkic World Vision 2040“. Die Idee eines „Panturkismus“, wie sie die Jungtürken um Enver Pascha und Talât Pascha verfolgten, scheint in neuer Gestalt wohl auch heute noch attraktiv.

„Dem Heldenvolk, das dir sein Blut geweiht. Wahre die Freiheit uns, für die wir glühn, Höchstes Gut dem Volk, das sich einst selbst befreit.“ So heißt es in der deutschen Übersetzung der türkischen Nationalhymne von Eduard Zuckmayer, deutscher Komponist und Dirigent, der nach seiner Emigration 1936 bis zu seinem Tod 1972 in Ankara lebte. Der Unabhängigkeitsmarsch, İstiklâl Marşı, ist seit 1921 die Nationalhymne, obwohl die Türkei als Staat in diesem Jahr noch gar nicht existierte. Volk, Nation, Unabhängigkeit werden allerdings immer deutlicher propagiert: Im selben Jahr verabschiedet die Große Nationalversammlung, das Gegenparlament in Ankara unter Mustafa Kemal, auch eine erste vorläufige und vorrepublikanische Verfassung (Fassungen 1921/1923). Im ersten Satz wird gleich die Souveränität der Nation, millet, festgeschrieben:

Hakimiyet bilâ kaydü şart milletindir. (vor der Sprachreform)
Die Staatsgewalt steht uneingeschränkt und bedingungslos der Nation zu.
Egemenlik, kayıtsız şartsız Milletindir. (nach der Sprachreform)

Bis heute steht der Satz in der Verfassung, wenn er inzwischen auch in Artikel 6 verschoben wurde. Natürlich hat die türkische Verfassung in den letzten 100 Jahren andere, entscheidendere Änderungen erfahren. Die letzte war die Einführung des Präsidialsystems 2017, die die Befugnisse und Optionen des bis dato eher repräsentativen Präsidenten deutlich stärkte. Seit 2021 gibt es intensivierte Bestrebungen der Regierungsparteien, eine neue Verfassung zu etablieren, die die Begrenzung des Amtszeit eines Präsidenten aufheben und das Präsidentenamt weiter stärken könnte, die Rolle des Parlaments weiter schwächen. Das wäre eine deutlich andere Situation als für die Große Nationalversammlung in Ankara 1921, die zu diesem Zeitpunkt alle legislative, judikative und exekutive Macht auf sich vereinte – für die Geschichtswissenschaft ein Paradebeispiel für den so genannten Parlamentsabsolutismus. 1921 ergänzt die Große Nationalversammlung ihren Namen um das Wort „Türkei“: Große Nationalversammlung der Türkei (Türkiye Büyük Millet Meclisi TBMM) heißt das türkische Parlament bis heute.

Kız Muallim Mektebi Talebeleri / Girl Students of Teacher Training College in Ankara, 1921 https://www.pinterest.de/pin/492088696779557304/
Kız Muallim Mektebi Talebeleri / Girl Students of Teacher Training College in Ankara, 1921 https://www.pinterest.de/pin/492088696779557304/

Wenn man das Gebäude der ersten 1. TBMM besucht, heute Museum des Unabhängigkeitskrieges, Kurtuluş Savaşı Müzesi, wird eine kämpferische, kriegerische Atmosphäre spürbar. Das dürfte einerseits auch heute noch so beabsichtigt sein, andererseits zeigen die Ausstellungsstücke wirklich eine Region im Krieg: An einem Stöpseltelefon gibt es zum Beispiel die Warnung, dass der Feind mithört – Dikkat Düşman Dinliyor! In den Vitrinen, die die persönlichen Dinge der Abgeordneten aus Bursa, Urfa, Ankara und anderen türkischen Städten zeigen, liegen in der Regel auch deren Mauser-Pistolen aus deutscher Produktion, türkisch mavzer, von denen später hier noch einmal die Rede sein wird. Denn die türkische Unabhängigkeitsbewegung ist im Krieg: In den beiden Schlachten von Inönü werden die griechischen Truppen erfolgreich zurückgedrängt, in der von Kütahya müssen sich die türkischen Truppen zurückziehen. Danach wird Mustafa Kemal Oberkommandierender; eine allgemeine Mobilmachung verpflichtet die ohnehin schon darbende Bevölkerung zur Abgabe von allem, was nur irgend entbehrlich war, um die Armee zu unterstützen. Die Schlacht am Sakarya Ende August, Anfang September wird heute als die entscheidende Wende im Krieg gegen Griechenland, auf dem Weg zur Unabhängigkeit gesehen. Der Schriftsteller İsmail Habip Sevük stellte die Schlacht damals in einen noch größeren Zusammenhang – mit der erfolglosen „Wiener Türkenbelagerung“ (in Europa so genannt) von 1683:

„Viyana’da başlayan çekilme Sakarya’da durdurulmuştur.
„Der in Wien begonnene Rückzug wurde am Sakarya aufgehalten“
(İsmail Habip Sevük)

Die Große Nationalversammlung beförderte Başkomutan (Oberbefehlshaber) Mustafa Kemal 1921 für diesen Sieg zum Mareşal (Marschall) und ehrte ihn mit dem Ehrentitel Gazi (mehr zu militärischen Titeln auf Laytmotif). Bis heute werden seitdem zum Gaziler Günü, dem Tag der Kriegsveteranen am 19. September, in der Türkei die Soldaten geehrt.

„Anatoliens Geschenk an Griechenland anlässlich des neuen Jahres.“ Cevat Şakir, Güleryüz (22. Oktober 1921). https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4265779
„Anatoliens Geschenk an Griechenland anlässlich des neuen Jahres.“ Cevat Şakir, Güleryüz (22. Oktober 1921). https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4265779

„Ben Antepliyim, Şahin’im ağam. Mavzer omzuma yük! Ben yumruklarımla dövüşeceğim, Yumruklarım memleket kadar büyük…“
Ich komme aus Antep, ich bin Şahin, mein Bruder. Die Mauser ist eine Last! Ich werde mit meinen Fäusten kämpfen, Meine Fäuste sind so groß wie das Land …

Am 25. Dezember wurde mit diesem Spruch von Şahin Bey auch 2021 wieder der Abzug der letzten französischen Soldaten aus Antep, später in Gaziantep umbenannt, vor genau 100 Jahren gefeiert. Kommandeur Şahin Bey war 1920 beim vergeblichen Versuch umgekommen, die französischen Besatzer aus Antep zu vertreiben. Ein Jahr später wird das mit dem Vertrag von Ankara, auch Franklin-Bouillon Abkommen genannt, auf dem Verhandlungsweg erreicht: Frankreich tritt osmanische Gebiete an die Ankara-Regierung ab, die es sich als Siegermacht gesichert hatte, Ankara erkennt im Gegenzug den Anspruch Frankreichs auf die Region an, die heute Syrien ist. So ganz ohne die deutschen Mauser-Gewehre in den Händen der türkischen Soldaten, nur mit der Macht der Fäuste, wird das nicht erzwungen worden sein: Eines der Mauser-Gewehre aus dieser Zeit wurde noch vor ein paar Jahren dem Bayazhan-Gaziantep-Stadtmuseum feierlich geschenkt, wie die Gaziantep Nachrichten mit Foto berichteten.

Mustafa Kemal, Franklin Bouillon und İsmet İnönü, Ankara, 13 Haziran 1921 By https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=80985400
Mustafa Kemal, Franklin Bouillon und İsmet İnönü, Ankara, 13 Haziran 1921 By https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=80985400

Über die enge Beziehung zwischen den deutschen Produzenten der Mauser-Waffen und ihren osmanisch-türkischen Abnehmern wurde häufiger auf Laytmotif geschrieben, zuletzt für 1920. Nachschub hat es 1921 zumindest offiziell nicht mehr gegeben, weil der Versailler Vertrag die deutsche Rüstungsproduktion verboten hatte. Während in der entstehenden Türkei weiter mit Mausergewehren gekämpft wird, hat Mauser in Deutschland auf zivile Produktion umgesattelt und stellt im Jahr 1921 sein erstes eigenproduziertes Auto vor. Weil ja diese Artikelserie deutsch-türkischen Spuren vom Damals bis ins Heute nachgeht, soll hier noch berichtet werden, dass es nicht lange bei zivilen Gütern blieb. Denn wie Rheinmetall Defence, heute Eigentümerin der Marke Mauser, in einer Firmengeschichte freimütig schrieb, bereitete der Versailler Vertrag und auch ein weiterer Weltkrieg der Mauser-Expansion nur ein vorläufiges Ende. So produziert heute der Mutterkonzern Rheinmetall Defence – „führendes internationales Systemhaus für Sicherheitstechnologie“, „Hightech Systeme für Verteidigung & Sicherheit“ – in der Niederlassung Mauser/Oberndorf seiner Rheinmetall Waffe Munition GmbH heute erfolgreich Waffen für alle Welt. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Beziehungen von Rheinmetall mit der Türkei werden in Gemeinschaftsunternehmen realisiert, wurden bisher nie nachhaltig, aber durchaus vorübergehend von politischen Verwerfungen gestört („Rheinmetall-Chef : Keine Panzer nach Ankara, faz.net, 2017). Ganz ausführlich berichtet der Länderbericht Türkei 2021 im Rahmen des Projekts „Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte“ des bicc Bonn International Center for Conflict Studies.)

Im Jahr 2021 ist die Türkei selbst erfolgreicher Waffenexporteur, besonders auf dem Gebiet militärischer Drohnen und unbemannter Flugzeuge, wie zum Beispiel die türkische Daily Sabah und die deutsche Welt berichteten. Auf dem Teknofest Aerospace and Technology Festival, TEKNOFEST Havacılık, Uzay ve Teknoloji Festivali, mit dem harmlosen Kurznamen Teknofest und einem lustigem Raketenlogo, gab es so im September neben vielen Tekkie-Competitions wie der Flying Car Design Competition oder der Artificial Intelligence Competition wieder solche militärnahen Wettbewerbe wie den World Drone Cup und die Turkey Drone Championship. Denn wie vor 100 Jahren befindet sich die Türkei im Zustand der ständigen Wehrhaftigkeit. Im Atatürk-Ehrenmal Anıtkabir, wo die türkische Fahne zu Gedenktagen heute noch genau so drapiert wird wie in Bruno Tauts Katafalk für Atatürk 1938, schreibt also der aktuelle Staatspräsident Erdoğan am 10. November 2021 ins Gedenkbuch:

„Lieber Atatürk […] Wir wachsen und entwickeln unsere Republik weiter, die Sie gegründet und uns anvertraut haben […] Wir werden niemals einen Angriff auf die Integrität unseres Landes, das Überleben unseres Staates, die Einheit, den Frieden und die alten Werte unserer edlen Nation zulassen.“

Und im Folgejahr 1922 endet der Krieg. Und mit ihm das Sultanat des Hauses Osman.

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