Paramatik. Und der Groschen fällt.

Wie einfach: banknot heißt der Geldschein auf Türkisch, ein direkter Abkömmling der deutschen Banknote. Oder des italienischen banconota? Des englischen banknote, des russischen банкнот? Egal, Geld ist Geld, ob banknot, Münze oder das, was die kredi kartı hergibt. Und para ist das Geld auf Türkisch. Para hieß die kleine Geldeinheit, also der „Pfennig“, im Osmanischen Reich und in der frühen Türkischen Republik (und heute noch im ehemals osmanischen Serbien). Para leitet sich vom persischen Wort für „Stück“ ab, hat nichts zu tun mit der griechischen Silbe para, die zum Beispiel in Paramilitär oder paranormal steckt. Also nicht täuschen lassen bei paramatik, dem türkischen Wort für Geldautomat: Das ist zusammengesetzt aus para und otomatik (=Automatik).

5 Türkische Lira (Banknote, Detail)

5 Türkische Lira (Banknote, Detail, 2009)

Jetzt fällt gleich der Groschen: Der kuruş (ausgesprochen kurusch) ist heute die Untereinheit des türkischen Geldes, die kleine Münze. Eingeführt im 17. Jahrhundert, und das Wort ist tatsächlich abgeleitet von der alten deutschen Geldeinheit Groschen. Der Groschen wurde dabei nur deshalb nicht zum kruş, sondern zum kuruş, weil das Türkische Probleme mit Doppelkonsonanten wie -kr- hat. (Zum Beispiel wird gelegentlich auch film filim und Schnitzel şinitsel gesprochen und auch geschrieben.) Der kuruş fällt im Türkischen übrigens nicht sprichwörtlich wie sein Verwandter, der Groschen. Wenn man auf Türkisch endlich etwas versteht, dann fällt der Jeton: „Jeton düştü“.

Türkische Lira, Türk Lirası (TL), heißt das große Geld – und wenn auch die türkische Lira eine ähnliche Inflationsgeschichte wie die italienische hatte, gibt es außer dem Namen keine weitere, kommerzielle, Verbindung. Das Wort Lira leitet sich vom lateinischen libra, Pfund, ab; gelegentlich spricht man auch noch vom Türkischen Pfund. In den 1870ern im Osmanischen Reich eingeführt, zeugt der Wechsel zu dieser lateinisch verwurzelten Bezeichnung, statt einer arabischen oder persischen, von einer schon vor-republikanischen Orientierung nach Westen.

20 Millionen Türkische Lira (Banknote, 1970)

20 Millionen Türkische Lira (Banknote, 1970)

Trilyon bedeutet Billion auf Türkisch: Statt Millionen Lira gibt es momentan für einen Euro ca. 3 TL. Aktuelle Kursschwankungen Lira vs. Euro sind im neueren Bankdeutsch peanuts, also nichts, gegen die inflationären Entwicklungen der Türkischen Lira in den Jahrzehnten vor 2004. Damals stieg der Wechselkurs von 9 Lira für einen Dollar 1966, über 90 Lira 1980, 1.300 Lira 1988, 262.000 Lira 1998 bis zu 1.480.000 Lira 2002. Das prägt: Im Alltagstürkisch benutzt man heute noch gelegentlich die alten Werte, z. B. wenn man sagt, dieser oder jener Fernsehstar verdient Billionen: O trilyonlarca para kazanıyor!

Mit Währungskrisen und -umstellungen gibt es ja auch einige deutsche Erfahrungen: Die Geldentwertung in der Weimarer Republik führte 1923 zu einem Wechselkurs von einem Dollar zu 4,2 Billionen Mark; die Wiedervereinigung 1990 zum Umtausch von Ost- in Westmark, die Einführung des Euro zum Umtausch von D-Mark in Euro.

10 Türkische Lira (Banknote, Detail, 2009)

10 Türkische Lira (Banknote, Detail, 2009)

Give it a TRY: Mit der Währungsumstellung von 2005 verabschiedete sich das türkische Geld nicht nur von 6 Nullen (000.000), sondern auch von seiner offiziellen ISO-Abkürzung TRL (TR für Türkei, L für Lira) und hieß künftig TRY (y für yeni, neu), Neue Türkische Lira, Yeni Türk Lirası. In Währungsrechnern im Internet findet man gelegentlich beide Währungen noch nebeneinander, bei Oanda die Türkische Lira TRY und – etwas holprig – Türkische Alter Lira TRL. Schon länger geplant und von einigen türkischen Regierungen versucht, stabilisierte die Umstellung 2005 die türkische Währung schließlich unter einer AKP-Regierung nachhaltig, eine der Voraussetzungen auch für einen eventuellen EU-Beitritt der Türkei. Die nicht mehr stattfindenden Millionen-Kurswertsprünge sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der Wert der neuen Lira seit der Einführung tendenziell sinkt: Von 55 Euro-Cent 2005 auf 35 2014 und knapp 33 im November 2015.

Unbezahlbar: Van-Katze, Van kedisi. Kopf 150.000 TL (Briefmarken, 1997)

Unbezahlbar: Van-Katze, Van kedisi. Kopf 150.000 TL (Briefmarken, 1997)

Gerade im türkischen Wahljahr 2015 diskutieren Politiker, Medien, Wirtschaftsexperten im In- und Ausland wie Wirtschaft und Währung stabil bleiben oder wieder werden können, ob vor allem große staatliche Bauprojekte und der private Konsum – eher unsichere – Wirtschaftsmotoren sind. Die Kreditkartenverschuldung ist eine der höchsten in Europa: Private Ausgaben werden in der Türkei häufig nicht mit banknot oder kuruş bezahlt, sondern virtuell, mit der Kreditkarte, auf Türkisch leicht zu merken kredi kartı. Von denen besitzen türkische Staatsbürger oft gleich mehrere. Paramatiks gibt es trotzdem an jeder Ecke. Nicht nur für Bargeld, sondern auch für Transaktionen vor dem Sonntagseinkauf in einem der riesigen Shoppingcenter: Von dem einen Automaten wird Bargeld abgehoben, am anderen gleich wieder auf das Kreditkartenkonto eingezahlt, weil bei Kreditkartenbezahlungen bestimmte Vergünstigungen gewährt werden.

20 Türkische Lira (Banknote, Detail, 2009)

20 Türkische Lira (Banknote, Detail, 2009)

Je mehr virtuelles Geld, desto weniger wechseln Geldscheine von einer Hand in die andere, desto weniger können visuelle Botschaften auf national geprägten Banknoten zum Selbstverständnis der Nation beitragen. Anders als die Euro-Banknoten, die neutrale Architekturzeichnungen tragen, haben die türkischen Banknoten weiter eine pädagogische Mission. Die erste Serie türkischen Geldes wurde nach der Republikgründung 1923 in Umlauf gebracht. Die Werte waren noch osmanisch-französisch genannt; alle Vorderseiten trugen das Portrait Atatürks. Die türkische Sprachreform inklusive Einführung des lateinischen Alphabets machte 1928 die zweite Serie erforderlich; auf den Vorderseiten wird nun neben Atatürk auch dessen politischer Weggefährte und spätere zweite türkische Präsident İsmet İnönü abgebildet. In der dritten und der vierten Serie in den 1940ern – nach dem Tod Atatürks 1938 – verschwand das Portrait Atatürks, İnönü bleibt allein zurück. İnönü verliert die Wahl 1950; in der fünften Serie ab 1951 wird İnönü wieder durch Atatürk ersetzt, der bis heute auf allen Geldscheinen abgebildet ist. Die folgende sechste Serie ab 1966 wird erstmals komplett in der Türkei gedruckt. Die siebte ab 1979 umfasste Geldwerte von 10 Lira bis 20.000.000 Lira. 2006 aus dem Geldfluss genommen, verliert sie 2016 ihren Wert. Die achte kam mit der Währungsumstellung 2005 auf den Kapitalmarkt.

Nach diesem durchaus reichhaltigen Auf und Ab ist die seit 2009 in Umlauf gebrachte neunte Serie die momentan letzte. Neben Atatürk auf allen Vorderseiten stehen auf den Rückseiten nun auch andere Personen, aus Wissenschaft und Kultur, für das Selbstverständnis der Türkei: Ein Wissenschaftshistoriker, ein Mathematiker und Architekt für die Türkische Republik nach 1923, Yunus Emre, türkischer Volksdichter aus dem 14. Jahrhundert, sowie ein osmanisch-türkischer Komponist aus dem 17. Jahrhundert – und die erste Frau auf einer türkischen Banknote überhaupt, die Schriftstellerin Fatma Aliye Topuz. Sie gilt als die erste türkische und muslimische Romanautorin. Zwei Seiten eines Geldscheins: Die damalige AKP-Regierung kann nun einerseits das Verdienst beanspruchen, als erste Frauen – auf Geldscheinen – eine öffentliche Rolle gegeben zu haben. Andererseits setzt sie Atatürk auf der Vorderseite mit Fatma Aliye geschickt eine Vertreterin konservativer Positionen und Kritikerin des Republikgründers entgegen.

Fatma Aliye Topuz. 50 Türkische Lira (Banknote, Detail, 2009)

Fatma Aliye Topuz. 50 Türkische Lira (Banknote, Detail, 2009)

Kann eigentlich jede*r eigene Geldschein-Designvorschläge liefern? Interessant ist dieser Vorschlag von Orhan Okhay: Hier steht Bahriye Üçok für die Frauen, die 1990 bei einem nie aufgeklärten Paketbombenanschlag getötete Theologin, Politikerin, Intellektuelle. Neben Seyit Onbaşı, türkischer Held des I. Weltkriegs, Attila İlhan, türkischer Schriftsteller und Journalist des 20. Jahrhunderts, den Dorfinstituten, Köy Enstitüler, die 1954 wegen „Verbreitung von hässlichem linkem Gedankengut“ geschlossen wurden, den Säulen von Assos in Çanakkale, bekannt für eine der frühesten osmanischen Moscheen, sowie Naṣīr ad-Dīn Ṭūsī, einem schiitischen Theologen und Mann der Wissenschaft aus dem 13. Jahrhundert. Zusammen mit einem weiter durchgängig abgebildeten, aber nicht der üblichen Ikonographie entsprechenden zersausten Atatürk.

Bargeld sieht nicht nur schöner aus und kann mehr Botschaften vermitteln, es eignet sich auch besser als Kreditkarten für Trinkgeld oder – in der undurchsichtigen Version – Schmiergeld. Bakschisch ist im Deutschen der umgangssprachliche Begriff für Schmiergeld, ein direkter Abkömmling von bahşiş (bah-schisch), dem persisch-türkischen Begriff für Trinkgeld.

PS: Die Türkei ist (noch) nicht Mitglied der EU; ob sie den Euro bekommt oder überhaupt will, ist gegenwärtig kein Thema. Und trotzdem gibt es schon Euros mit türkischen Wörtern: Die von Zypern herausgegebenen Euro-Münzen werden mit beiden offiziellen zypriotischen Landessprachen geprägt, Griechisch und Türkisch.

Zum Weiterrechnen:
Entwicklung der Türkischen Lira (TRY) zum Euro (Bundeszentrale für Politische Bildung, 20.10.2014)
Euro – Neue Türkische Lira (EUR-TRY) Chart (finanzen.net)
Frank Stocker: Türkei: Geldscheine als Zeichen politischen Wandels (Welt am Sonntag, 22.05.2011)
Michael Thumann: Erdoğans Scheinboom (ZEIT, 03.06.2015)
Türkische Lira (Wikipedia, Stand 25.11.2015)