Beschimpft und beleidigt. AMK.

„… der Hundebengel“ hat jemand mit Kreide hinter einen türkischen Vornamen auf eine Hauswand im türkisch geprägten Berliner Stadtteil Wedding geschrieben – Hundebengel, wie niedlich! Für den Empfänger sollte das aber offensichtlich eine Beleidigung, ein Schimpfwort sein. Und auf das aktuell sensible Feld der Beleidigungen und Beschimpfungen wird sich Laytmotif mit diesem Artikel begeben. Der Ton wird rauer, politisch und gesellschaftlich, da wollen wir den Mund auch nicht halten. Während sich aber auf der nationalen Ebene Gerichte und die Politik mit dem Thema befassen sollen, schauen wir uns hier im Kleinen an, wo es im Türkischen und im Deutschen Gemeinsamkeiten gibt, wo Unterschiede, was die großen schimpfenden Themenstränge sind, was Übernahmen aus einer Sprache in die andere.

Wer viele Schimpfwörter benutzt, ist eben nicht doof, weil er sich nicht richtig ausdrücken kann. Sondern: Er hat wahrscheinlich einen großen Wortschatz und ein Talent für Sprache.
Deutschlandfunk Nova

Meister der Diplomatie, keine bösen Worte – diese hehren Laytmotif-Leitmotive werden für diesen Artikel kurzzeitig aufgegeben – voller Schamgefühl, natürlich. Denn es ist nun mal so, wie ein türkischer Freund sagt: „Diese Worte sind eben in unserem Leben“. Und offensichtlich wirkt sich ihre Benutzung (vielleicht auch das Nur-dran-Denken oder das Vor-sich-hin-murmeln auf dem Fahrrad) positiv auf den Sprachgebrauch und den Wortschatz aus. Insofern ist dieser Artikel dann also auch eine Art Laytmotif-Weiterbildung. Trotzdem werden Sicherheitsvorkehrungen getroffen – die erste wirkt schon: Das Thema wird einfach in Watte gepackt und noch ein wenig weiter auf der unkonkreten, abstrakten Metaebene behandelt. Harmlosere Schimpfworte, z. B. aus dem Reich der Tiere, und einen Klassiker werden Sie hier aufgeschrieben sehen. Manche Schimpfworte werden ganz subjektiv ignoriert. Und alle anderen, um die es kein Drumherumreden geben kann, werden chiffriert – das tut nicht weh, das Entziffern dauert nur länger. Aber natürlich können Sie auch gleich ganz nach unten scrollen, wo die populärsten, weil unflätigsten Beleidigungen auf anderen Websites nachzuhören sind.

Idiot / idiyot, Foto: Istanbul, 2016

Idiot / idiyot, Foto: Istanbul, 2016

Um Kevin, Ronny, Larry, Lappen, Drossel, Horni und Honk – harmlose deutsche Schimpfworte, „die Standarddinger halt“, wie der Neffe sagt – soll es hier nicht gehen, auch nicht um parazit (Parasit) oder mikrop (Mikrobe, Schlawiner auch) und ähnliche türkischen arglosen. Sondern um die harten, die bösen. Um Beleidigungen mit Schimpfworten, auf Türkisch küfürler. Das tangiert die Themen Vulgärsprache und Fluchen: Küfür bedeutet gleichzeitig Fluch und (Gottes-)Lästerung. Während man aber im Türkischen und im Deutschen still alleine vor sich hin fluchen kann, wird ein Schimpfwort erst zur Beleidigung, wenn es gesagt wird und sich an mindestens eine weitere Person richtet. Im Deutschen wird das durch das vorangestellte „Du…“ klar deutlich, die vorgeblich höflichere „Sie…“-Form wird zwar seltener benutzt, aber dennoch gezielt eingesetzt. Beides übrigens unüblich im Türkischen.

Die Benutzung von Schimpfworten betrifft nicht nur Fragen von Anstand (görgü) und Moral (ahlak) – sie ist auch eine Frage der Ehre (onur). Jemandem einen Schimpf antun, sagt der deutsche Duden, ist Schmach und Ehrenkränkung. Und die ist nach in § 185 des deutschen Strafgesetzbuches strafbar: Die Benutzung mancher Schimpfworte kann in Deutschland strafrechtlich mit Freiheits- oder Geldstrafen verfolgt werden. Meinungsfreiheit hin oder her: Alles darf eben nicht gesagt werden, wenn die Ehre auf dem Spiel steht. Im türkischen Strafgesetzbuch (Türk Ceza Kanunu madde 125) hört sich die Definition einer Beleidigung ganz ähnlich an: „bir kimsenin onur, şeref ve saygınlığına zarar verebilecek bir fiil, olgu, yakıştırma veya söz“, „ein Verb, ein Ereignis, eine Beschuldigung, ein Wort, das Stolz, Ehre und Ansehen einer Person beschädigen“. Ehrträger werden die Opfer einer deutschen Beleidigung genannt – der Ehrbegriff, den man anders als in der Türkei hier für eher ausgestorben hielt, ist über die strafrechtliche Hintertür also auch in Deutschland weiter im Spiel.

Auch wenn natürlich Beleidigung ein dehnbarer Begriff bleibt, scheint es doch Schnittmengen bei den meistgebrauchten deutschen und türkischen Schimpfworten zu geben. Idiot und auf Türkisch idiyot: In beiden Sprachen wird das Wort mit der griechisch-lateinischen Wurzel benutzt, um jemanden als dummen Menschen zu beleidigen. Idiotie war lange als Diagnose einer geistigen Behinderung ganz normal gebräuchlich; heute werden der Idiot und seine Verwandten – weniger stark und mit weniger Beleidigungspotential – Narr, Trottel, Depp, Einfaltspinsel, Dumm- und Schwachkopf ausschließlich zum Beleidigen benutzt. Der Vollpfosten ist eine neuere Variante dieses alten Themas. Fast deckungsgleich klingt das im Türkischen: Oft gehört sind aptal (Dummkopf) und salak (Trottel), gesagt werden ahmak (Depp) und – raffiniert komponiert – geri zekalı (Schwachkopf und Vollidiot) von geri (zurück) und zeka (Intelligenz). Manyak (verrückt und manisch) wird im Türkischen gern als herablassende Beleidigung eingesetzt, „Du bist verrückt/manisch“ fällt im Deutschen hingegen eher nicht unter einen Strafrechtsparagraphen. Sapık übersetzt das Wörterbuch ebenfalls als verrückt; das Wort wurde aber umgenutzt von den eigentlichen Bedeutungen unnatürlich und pervers.

Manyak / Verrückte*r, Foto: Berlin-Kreuzberg, 2017

Manyak / Verrückte*r, Foto: Köln, 2017

Der Mensch ist biologisch gesehen zwar ein Tier, trotzdem meint die Bezeichnung „Tiere“ zumeist „Tiere mit Ausnahme des Menschen“ – Tiernamen für Menschen haben daher Beleidigungspotenzial. Tiere für sich genommen aber nicht, deshalb können die Tier-Schimpfworte hier noch ohne Hemmung aufgeschrieben werden. Wenn ein Mensch zu einem anderen auf Türkisch hayvan sagt, oder auf Deutsch Du Tier, kann das in beiden Sprachen als Beleidigung durchgehen, wenn es auch hier wie dort eher wenig konkret und trennscharf ist. In beiden Sprachen herrscht im Bereich der Tier-Beleidigungen, -Sticheleien und -Hänseleien Artenvielfalt: zum Beispiel Du Affe (oder auch sexuell konnotiert: Bonobo) im Deutschen, auf Türkisch noch nicht gehört. Im Türkischen hingegen ayı, Bär, für Grobian oder Trottel – das Bärchen hingegen im Deutschen eher liebevoll. Haustiere, weil seit Jahrtausenden näher am Menschen und charakterlich durchschaut, sind stark vertreten: Ochse oder, spitzer, Hornochse als deutsche Beleidigung für Männer, (blöde) Kuh für Frauen. İneksin, Du Kuh, steht im Türkischen allerdings für Streber*in – ob Beleidigung oder nicht, kommt auf den Kontext an. Öküz, Ochse, wird im Türkischen benutzt für einen etwas begriffsstutzigen Menschen, sagt ein türkischer Freund. Dummes Huhn im Deutschen beleidigt wohl nur sehr sensible Menschen und ward im Türkischen als Schimpfwort nicht gehört. Je weniger leibhaftige Esel um uns herum, desto weniger Beleidigungspotential: Wenn auch Esel als Schimpfwort immer noch für vermeintlich dumme Menschen gehört wird, ist doch inzwischen bekannt, dass der Esel eher weise als dumm ist. Die türkische Entsprechung eşoleşek, verkürzt von eşek oğlu eşek, Sohn eines Esels, ist verbreiteter. Die Beleidigung der Familie schwingt mit, und je nach Tonfall beleidigt dieses Schimpfwort tief oder stichelt eher.

Schwein / domuz, Foto: Berlin-Kreuzberg, 2017

Schwein / domuz, Foto: Köln, 2017

Das Schwein, domuz, obwohl in der muslimisch geprägten Türkei als unreines Tier einsortiert, gehört nicht zu den besonders populären Schimpfworten im Türkischen. Domuz, sagt ein türkischer Freund, könne auch für den Ehepartner gebraucht werden, sei aber eher niedlich. „Domuz gibisin“, „Du bist wie ein Schwein“, wenn man jemanden nicht mag, und als abwertende Bezeichnung für Deutsche, sagt der Türkischlehrer. Eine nationale Beleidigung? Wie der Schweinefresser eher wohl eine Kategorisierung für ein Land, in dem viel Schweinefleisch gegessen wird. Anders im Deutschen: fette Sau oder fettes Schwein (sişko), altes oder mieses Schwein, Saubär, Drecksau oder Ferkel – versaute Worte, die beleidigen, sind an der Tagesordnung.

Du Schweinehund (oder auch Sauhund) ist im Deutschen die Kreuzung zweier Beschimpfungen, eine Verstärkung des bloßen Du Hund. Hund war im Deutschen – bisher – kaum beleidigend, sondern in Kompositionen/Konstruktionen wie dummer und blöder Hund oder meiner Omas krummer Hund eher altmodisch und augenzwinkernd. Der Hundebengel im Wedding zeigt eine Renaissance: Im migrantischen Milieu ist der im Islam ungeliebte Hund durchaus eine Beleidigung, in der Türkei sind Varianten sehr populär: Das klassische köpek, Du Hund, oder Du Hundegesicht, köpek suratlı. Piç, Mischling oder Bastard; it, Köter, und it oğlu, Sohn eines Köters, werden schon schärfer. Man spricht englisch im Deutschen: bitch, Hündin, als Kategorisierung für „durchtriebene“ Mädchen oder Frauen, mal verletzend, mal anerkennend, führt langsam aufs Feld der hier zensierten Schimpfworte.

Hund / köpek, Istanbul, 2017

Hund / köpek, Istanbul, 2017

Aber eines der härteren geht noch unzensiert durch: Hurensohn. Weil es durch einen Dichter und Denker der Weimarer Klassik „geadelt“ wurde: In Friedrich Schillers „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ von 1783 ist seine Verwendung zum ersten Mal belegt. „Heraus, Hassan! Hurensohn der Hölle! Hassan! Hassan!“. Die Beleidigung richtet sich wohlgemerkt an „Muley Hassan, Mohr von Tunis, ein confiscirter Mohrenkopf“ – wusste Schiller damals schon, dass Hurensohn im islamischen Kulturkreis eine besonders schwerwiegende Beleidigung ist? Dieses Schimpfwort attackiert nicht nur den Beleidigten selbst, sondern verletzt auch die Ehre der Mütter – unter deren Füßen liegt das Paradies, sagt der Koran. So oder so, die Mutter gehört auch in überwiegend biblischen Gefilden nicht beleidigt, da sei Adams Frau Eva als biblische Übermutter vor. Trotzdem kam der Hurensohn nicht nur bei Schiller, sondern auch bei Lenz, den Grimm-Brüdern und vielen danach vor. Bastard, in kleindeutschen feudalen Gesellschaften offizielle und einigermaßen wertfreie Bezeichnung für ein uneheliches Kind eines Adligen mit einer nicht standesgemäßen Frau, wurde später ebenfalls zum Schimpfwort, ist eine Variante des Hurensohns. Der wurde mit der Migration von Menschen, Kulturen, Sprache auch hierzulande zur wieder öfter gehörten Beleidigung, auf Schulhöfen, in Fußballstadien, Chatrooms. Von Schiller schließt sich der Kreis zu den Berliner Rappern K. I. Z. (ohne Bandmitglieder mit Wurzeln in der Türkei), die in ihrem Song „Hurensohn“ rappen: „Du Hurensohn, ich mach Party auf deinem Grab.“ Die direkte Entsprechung uğucoç upsoro [ab hier muss chiffriert werden, indem die Buchstabenfolge umgekehrt wird] ist im Türkischen tatsächlich in aller Munde, viel gesagt, viel benutzt, viel beleidigt.

Der Hurensohn führt freizügig auf das weite Feld der sexuell-zwielichtig konnotierten Beleidigungen, entweder des Adressaten direkt oder eben über die Beleidigung seiner Mutter. Frauen werden im Türkischen diskreditiert als upsoro, eşihaf, kütrüs, katlak, mit den deutschen Entsprechungen und Verwendungen zwischen epmalhcS, ettuN, in der Steigerung ettuN-repuS. Schön zusammen kommen beide Begriffswelten in Du eruH, integraler Bestandteil von Anke Engelkes Sketch „Deutschkurs für türkische Mitbürger“. Ab wann das sittliche Verhalten von Frauen schimpflich ist – geschimpft übrigens durch Männer und Frauen gleichermaßen –, hängt natürlich von den jeweiligen Moralvorstellungen der Person bzw. der Gesellschaft ab.

Ganz passend in diesem Themengebiet: kıcma, im Deutschen als eztoF bekannt, nur im Türkischen benutzt ima nınana (esöM deiner Mutter, eher ein Ausruf des Erstaunens), suratlı kıcma (nesöM-Gesicht für einen hässlichen Menschen) und itibma (Filzlaus). Du reshciW scheint auf Türkisch kein Gegenstück zu haben. Im Deutschen allgegenwärtig Du hcsrA oder auch hcolhcsrA, im Türkischen benutzt, aber eher selten, tög und iğiled tög. Nah dran: das deutsche Du Stück eßiehcS, jugendsprachlich auch eztarbkcaK, während in beiden Sprachen kob/eßiehcS in der Bedeutung „Mist!“ ausgespuckt werden.

„Deine Mutter“ flicht ein türkischer Freund in seine perfekten deutschen Sätze ein, in der Bedeutung von kcuF, als Ausdruck der Empörung zum Beispiel. Deine Mutter? Auf Deutsch ist dessen Herkunft kaum noch zu entschlüsseln: Mit dieser direkten Übersetzung des im Türkischen genutzten annen bzw. anan will man seinem Frust verkürzt Luft machen, beleidigt aber die Mutter nicht wie in der längeren Originalversion: Ich ‚kcif deine Mutter, Anani mikis.

AMK: anımA koyayım. / Lass es mich in deine esöM legen. Foto: Berlin-Kreuzberg, 2017

AMK: anımA koyayım. / Lass es mich in deine esöM legen. Foto: Berlin-Kreuzberg, 2017

„F*ck AMK“ steht auf einer Autobahnbrücke zwischen Dresden und Berlin – für Menschen, die sich gerade mit türkischen Schimpfworten auseinandersetzen, der Beweis, dass die wie die englischen in der deutschen Sprache angekommen sind. Lukas Podolski, in Polen geborener deutscher Fußballspieler, 2015 bis 2017 bei Galatasaray Istanbul Spieler in der türkischen Süper Lig, garniert schon mal seine Instagram-Posts mit AMK – „çay AMK“. AMK, gesagt von Männern, ist die Abkürzung für „anımA koyayım“. „Lass es mich in deine esöM legen“ – was wohl!? Bewegt sich nur am Rande des Beleidigungsparagraphen, weil eher selbstbezogen im Sinne von „kcuF, was ist denn da wieder schiefgelaufen?“ verwendet, oder aber als Verstärkung, „kcuF, wie geil ist das denn!“. Also genutzt wie im Deutsch-Englischen auch. „imikiS ye“ (Iss meinen znawhcS) oder „ritkiS nal“ bewegen sich in ähnlichen Körperregionen, sind mit der Bedeutung „kciF dich (doch)“ oder „ssipreV dich“ aber deutlich aggressiver.

„People Who Curse a Lot Have Better Vocabularies Than Those Who Don’t, Study Finds – F*ck, yes!“
Sience alert

In den letzten Abschnitten wurde viel verdreht, verdeckt und ausgelassen. Wer es nun ganz genau wissen, und dazu auch noch was lernen will, der sollte jetzt hier gleich nachhören. Denn, wie weiter oben schon gesagt, das ist auch ein gutes Sprachtraining. In der untersten Schublade dieses Artikels, dem niedrigsten Textabschnitt, wird also keine Rücksicht mehr genommen , Klartext geredet – schließlich wollen wir ja alle etwas lernen. Wenn Sie hier klicken, können Sie sich von einer künstlichen souveränen Männerstimme eine schräge Mischung selten gehörter deutscher Schimpfworte vorlesen lassen. Der Hurensohn ist dabei. Eine türkisch säuselnde Frauenstimme macht die hier gesprochenen türkischen Schimpfworte verträglich und ist hoffentlich computergeneriert – ein Computer kann nicht rot werden. Denn das uğucoç upsporo ist natürlich dabei. Und hier können Sie sich die fünf wichtigsten aus deutsch-türkischer Sicht von einem richtigen Menschen vorlesen lassen. anımA koyayım ist dabei.

Aber klar: Vom Gebrauch all dieser Wörter rät Laytmotif ganz dringend ab. Denn Laytmotif ist diplomatisch und will niemals beleidigen.

Zum Weiterlesen:
Selim Baykara: Was heißt AMK? Vorsicht: Nicht jugendfrei! (Giga, 19.01.2017)
Beleidigung (Wikipedia, 07.08.2017)
Hakaret (Vikipedi, Stand 21.04.2017)
Matthias Heine: Hurensohn – ein Fluch mit Migrationshintergrund? (welt.de, 28.07.2014)
Karsten Schmehl: 16 türkische Schimpfwörter, die wir dringend im Deutschen brauchen“ (BuzzFeed, 21.02.2017)
Wer flucht, hat Sprachtalent: Scheiße, sind wir klug! (Deutschlandfunk Nova, Stand 08.09.2017)