Laytmotif auf Reisen: Zeki Müren – Sonne der Kunst
Wie konnte es passieren, dass ich bis eben nichts von Zeki Müren wusste, Phänomen der türkischen klassischen Musik, in der Türkei bis heute hochverehrter und geliebter Sänger, zu dessen Begräbnis 1996 zehntausende Frauen und Männer jeder Gesellschaftsschicht trauerten und der Generalstabschef der türkischen Streitkräfte ausrichten ließ: „Zeki Müren hat sein Vaterland geliebt.“?
An der zentralsten Stelle der İstiklal Caddesi hängt im November 2014 ein Riesenausstellungsplakat mit dem Bild eines adrett aussehenden Mannes mit gepflegter Frisur, dem Slogan „İşte benim Zeki Müren“ (mit Pailetten-Anmutung), den Logos einer türkischen Bank, der Türkischen Erziehungsstiftung (Türk Egitim Vakfi, TEV) zur Förderung von begabten Nachwuchsakademikern und Partnerin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, und der Türk Silahlı Kuvvetler Mehmetçik Vakfı, der Stiftung der Türkischen Streitkräfte.
„Wer ist das?“ „Keine Ahnung.“ Dass der Mann Zeki Müren ist, wusste ich nicht, als ich mit deutschen Freunden das erste Mal an dem Poster vorbeiging; erst der Hürriyet-Artikel zur aktuellen Ausstellung bringt mich auf die Spur („Story of Turkey’s late music icon Zeki Müren on display“, 20.11.2014).
Und auf was für eine: Die Komponenten der Story dürften in ihrem Mix für jede/n, der/die nicht in der Türkei oder einem türkischen Umfeld aufgewachsen ist, bemerkenswert und erstaunlich sein. Zeki Müren, 1931 geboren, war von den 1950ern bis in die 80er einer der größten Stars der Türkischen Kunstmusik (Türk Sanat Müziği), einer der beiden Hauptzweige der türkischen Musik neben der türkischen Volksmusik (Türk Halk Müziği). Das ist mehr als 30 Jahre her, Müren vor fast 20 Jahren gestorben – und trotzdem drängen sich in den Ausstellungsräumen an der İstiklal Caddesi an einem normalen Wochentag begeisterte Menschen jeden Alters und jeder Schicht.
Wenn ich meine türkischen Freunde – egal, ob 20, 30 oder 40 Jahre alt, Frauen oder Männer – nach Zeki Müren frage, erfahre ich von Bewunderung, Lieblingsliedern, Ehrerbietung, alle wissen um Mürens Ehrennamen Sanat Güneşi, die Sonne der Kunst. Er sei von allen geliebt, jungen und alten Menschen, religiös oder nicht, vom Land und aus der Stadt, Lieblingssänger von Menschen, die in Mürens Hoch-Zeit noch gar nicht geboren waren. In einem düsteren verstaubten Antiquitätenladen beschied mir der alte Besitzer fast entrüstet, auf jeden Fall sehr bestimmt, „NEIN, auf diesem Bild ist nicht Zeki Müren – HAYIR, Zeki Müren değil!!!“
Der Titel der Ausstellung ist der eines seiner Songs, „İşte Benim Zeki Müren (Hier bin ich, Zeki Müren)“. Die Interpretation dieses Songs, die in der Ausstellung gespielten Lieder und sein Gesang in den dort gezeigten Filmen bestätigen beim ersten Hören, was für seine Fans Hauptgrund für seine ungeheure Popularität ist: Mürens einzigartige Stimme und die sehr deutliche und präzise Artikulation des „Hochtürkischen“, überaus bedeutend für die klassische türkische Musik. Seine vielen Alben aus mehr als 30 Jahren singen – wie sich das für die türkische Kunstmusik gehört – sehnsuchtsvoll von der Liebe. Zum Ende seiner Karriere gibt es durchaus auch Anlehnungen an die aus dem Osten der Türkei „eingewanderte“ Arabeske als Musikrichtung. Müren war der erste türkische Sänger überhaupt, der eine goldene Schallplatte überreicht bekam.
Bis heute wird Müren für seine ausgesuchte Höflichkeit geachtet. Wenn ich mich über ihn unterhalten habe, geht es immer auch um seine Zuvorkommenheit, seine guten Manieren, die sich auch in einer fast „aristokratischen“ Ausdrucksweise manifestieren. Beste Voraussetzungen für seine Filmrollen, in denen er – zusammen mit den größten weiblichen türkischen Filmstars ihrer Zeit – vor Allem den türkischen Mann und Liebhaber, auch den der handgreiflichen Art, verkörperte.
Dieses Bild eines handgreiflichen Liebhabers kollidiert durchaus mit dem Bild des exzentrischen Paradiesvogels, das sich ab der Mitte der 1960er abzeichnet, und das die „flamboyant costumes and boots“ (Hürriet Daily News) in der Ausstellung unterstreichen. (Mindestens ein „Wow“ habe ich auf der Treppe gehört, bei allen anderen Besuchern schwang es unhörbar mit). Extra nochmal nachgeschaut: „flamboyant“ bedeutet extravagant, überladen, farbenprächtig, grell, auffallend, aufwändig und – flamboyant. Opulente Ringe, Make up unterstrichen das noch, eventuell verstärkt oder überhaupt erst ausgelöst durch eine Begegnung mit Liberace in den 1960ern. Lady Gaga würde mir einfallen, wenn es nicht irgendwie ungehörig erschiene. Jedenfalls kursiert heute ein „Fotobeweis“ im Internet, auf dem Lady Gaga Mürens Make Up interpretiert, ja huldigt.
Zeki Müren blieb immer vage, was sein eigenes Liebesleben anging – eine Frage, die sich aus heutiger Sicht aufzudrängen scheint, die aber vielen seiner Fans nicht wichtig ist oder zumindest ausgeblendet wird. Auch wenn Hürriyet schreibt „With his feminized dresses, large rings and heavy make-up, Müren played a pioneering role in increasing the visibility of homosexuality in Turkish society“, hat Müren darauf selbst immer ausweichend reagiert (was ihm heute wiederum von LGBT-Gruppen vorgeworfen wird). Künstler seien nun mal farbenprächtig, seine Kleider ähnelten denen der alten Römer, Frauen mit Hosen würden auch nicht nach Geschlechtsumwandlungen gefragt. Müren wurden Affären mit seinen Filmpartnerinnen nachgesagt, platonische Männerbeziehungen auch – mehr davon in diesem schön betitelten Wikipedia-Absatz: Umgang mit der „extraordinären Art“.
Der Paradiesvogel Zeki Müren, die Sonne der Kunst, vermachte einen großen Teil seines Nachlasses der Stiftung der Türkischen Streitkräfte und der Türkischen Erziehungsstiftung, die Teile davon für die Ausstellung zur Verfügung stellten. (Welche der beiden Stiftungen die glitzernden Plateauschuhe aufbewahrt, habe ich nicht recherchiert.) Nach seinem Tod blendete das Türkische Staatsfernsehen TRT den Schriftzug „Die Sonne ist untergegangen“ ein; neben dem schon weiter oben zitierten Generalstabschef sagte auch der damalige Staatspräsident Süleyman Demirel „Er war mein Freund“. In Bodrum wurde später Mürens Sommerhaus vom türkischen Kulturministerium zum Museum umgestaltet, die Straße zur Zeki Müren Caddesi („Zeki Müren Straße“) umbenannt.
Und außer einer großen Ausstellung mit Devotionalien aus seinem Leben? Ausgestellt werden dort auch coole T-Shirt-Entwürfe mit dem Spruch „İşte benim Zeki Müren“, gestaltet von Grafik-Design-Studenten der Mimar Sinan Universität der schönen Künste, an deren Vorgängereinrichtung „Akademie der Schönsten Künste“ Müren selbst studiert hatte.
Und wenn es stimmt, was Wikipedia schreibt, erklangen 2010 nach einem Computerhack in das Zentralsystem für den islamischen Gebetsruf in der nordosttürkischen Stadt Rize von über 170 Minaretten der Stadt für drei Minuten Lieder von Zeki Müren statt eines Gebetsrufes.
Bei den Gezi-Protesten 2013 tauchte ein, in Social-Media-Channels oft geteiltes, Graffiti in İstanbul auf: „TOMA’lara göğüs geren, İşte benim Zeki Müren! – Ich bin hier, um den Wasserwerfern zu widerstehen, Zeki Müren!“
Nun stellen wir uns das alles mal in einer deutschen Konstellation vor: Heinz Rühmann, Udo Jürgens, Roy Black, Johannes Heesters in allen Ehren, aber diese Namen fühlen sich unpassend an. Und es fehlen da nicht nur die Teens oder Twens, die Lieblingslieder von ihnen parat haben oder gar T-Shirts mit ihren Songtiteln tragen möchten. Über Exzentrik, Verbindungen zu Bundeswehr und Deutschem Akademischem Austauschdienst haben wir da noch gar nicht begonnen nachzudenken.
Einzigartig also, dieser Zeki Müren, würde ich sagen, ein Phänomen: Ich habe mich gefreut, von ihm erfahren zu haben. Und eine Zeki-Müren-CD habe ich mir auch gekauft.