Laytmotif auf Reisen: Sonniges Izmir – Ach so. Und sonst?

Oktober 2017: Izmir | Ankara | Konya | Istanbul

Güneş Ekspres, Sonnenexpress, SunExpress: Seit in der Türkei immer die Sommerzeit gilt, verfügt von der Regierung, scheint hier abends die Sonne länger. SunExpress, die gemeinsame Fluglinie von Turkish Airlines und Lufthansa, fliegt zwar in die Sonne, vor Allem in die Türkei – sonnenhungrige Urlauber sind im Flugzeug nach Izmir allerdings nicht zu sehen. Das Angebot der Fluglinie richtet sich in der momentanen Situation wohl vor allem an Reisende mit familiären Wurzeln in der Türkei – für Steigerungen bei den Flugzahlen sorgen solche neuen Ziele wie Kayseri und Gaziantep in Anatolien.

Blauer Himmel und Sonnenschein. Und Halbmond und Stern. Izmir 2017

Blauer Himmel und Sonnenschein. Und Halbmond und Stern. Izmir 2017

„Gavur Izmir“, „Ungläubiges Izmir“ – obwohl die Stadt an der Ägäis geografisch gesehen auch zu Anatolien gehört, lebt man hier (noch) nach anderen Vorstellungen als in den Regionen weiter östlich. Izmir, das ehemalige Smyrna, hat sich noch nie so sehr nach dem stärker religiös geprägten Anatolien ausgerichtet, sondern eher nach Westen, wohin seit Langem die Schiffe aus dem bedeutenden Hafen fahren und für den Handel mit der Welt sorgen. Im Osmanischen Reich multikulturelle Heimat für Griechen, Türken, Armenier und andere, für Christen, Juden und Muslime, gelten nach der „Türkisierung“ und Säkularisierung durch Mustafa Kemal aka Atatürk strenge religiöse Regeln und Moralvorstellung weiter eher wenig. Es gibt mindestens einen Erotik-Shop, an der Haupteinkaufsstraße, in den S-Bahnen ein vertrautes Miteinander von Studentinnen (mit Kopftuch oder ohne) und Studenten. Am Kordon, der Strandpromenade, wird wie im wie im letzten Jahr weiter entspannt Bier auf dem Rasen getrunken; es sitzen auch Mädchen mit Kopftuch zusammen mit Jungs mit Bierflaschen.

Promil = Promille: Großflächige Alkoholwerbung, Izmir 2017

Promil = Promille: Großflächige Alkoholwerbung, Izmir 2017

In Izmir ist vom Ausnahmezustand, der in der Türkei seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 in Kraft ist und gerade zum 5. Mal verlängert werden soll, nichts zu spüren. Keine aktuell-politischen Plakate im öffentlichen Raum – oder fast keine: Wie jedes Jahr ist das Konterfei des Republikgründers Atatürk, der weiter für eine nach dem Westen orientierte Politik steht, in der Stadt allgegenwärtig. Kein Wunder: Izmir hat sich bei Wahlen und Referenden immer wieder mehrheitlich gegen die AKP von Staatspräsident Erdoğan entschieden. Gelegentlich treffen beide politischen Vorstellungswelten an öffentlichen Gebäuden direkt aufeinander – dort wo traditionell nur Atatürk zu sehen war.

Atatürk, Erdoğan, Yıldırım, Izmir 2017

Atatürk, Erdoğan, Yıldırım, Izmir 2017

Natürlich ist Izmir nicht so sonnig-unbekümmert, wie es an der Oberfläche scheint: Man hört von Sorgen, in welche Richtung sich das Land entwickeln wird, wie unterschiedliche politische, gesellschaftliche, demokratische Strömungen eine Stimme haben und im Dialog bleiben können – im Dialog auch mit Deutschland, der durch die jüngsten politischen Verwerfungen, begleitet von den Medien beider Länder, belastet ist. Initiativen wie die vom Goethe-Institut Izmir unterstützten Actopolis, The Art of Action, oder Başka Yerde / Anderswo, ein Bremen-Izmir-Fotografie-Projekt, sollen dabei helfen.

Das Arkas Sanat Merkezi, Arkas Kunstzentrum, am Kordon zeigt Meeresgemälde europäischer Maler. Das Kunstzentrum wird im ehemaligen französischen Konsulat betrieben, einer prächtigen alten Villa mit Blick auf den Golf von Izmir. Inhaltlich und geografisch auch hier also die Orientierung über das Meer, nach Westen. Bei Arkas ist das auch nicht überraschend: Arkas ist ein großes türkisches Logistikunternehmen, dessen Name auf Containern in vielen Häfen dieser Welt steht. Arkas hat eine interessante Firmengeschichte: Eigentlich in der französischen Hafenstadt Marseille (türkisch: Marsilya) beheimatet, entwickelt sich in Smyrna/Izmir Anfang des 20. Jahrhunderts, noch im Osmanischen Reich, ein Handelszweig unter der Führung von Gabriel J. B. Arcas. Nach der Niederlage des Osmanischen Reichs gegen die Franzosen im Ersten Weltkrieg konnte dieser Firmenzweig autark weiter in der Hafenstadt arbeiten, auch nachdem das frühere Smyrna zum Izmir in der Türkischen Republik geworden war. Handel und Industrie mussten schließlich auch in einem Land funktionieren, das sich in Abgrenzung zu den Großmächten der Welt gerade neu erfand. Dass Atatürk durchaus frankophil war und Arcas seinen Namen zu Arkas türkisierte, dürfte förderlich gewesen sein. Heute ist Arkas eine türkische Holding, die zum Beispiel auch zusammen mit der deutsche DB Schenker, einem Unternehmen der Deutschen Bahn, das gemeinsame Unternehmen DB Schenker Arkas betreibt.

Atatürks wachsames Auge, Izmir 2017

Atatürks wachsames Auge, Izmir 2017

Torpidobot, kruvazör, destroyer, für Torpedoboot, Kreuzer (cruiser) und Zerstörer (destroyer): Im zweiten Ausstellungshaus von Arkas, dem Arkas Deniz Tarihi Merkezi, Arkas Zentrum für Meeresgeschichte, kann man neuere türkische Worte lernen. Das Zentrum ist auch in einer schönen alten Villa untergebracht, in Izmir-Bornova, heute sprudelndes Zentrum studentischen Lebens, früher Villenvorort für reiche Fabrikanten und Handelstreibende aller Herren Länder. Schiffsgemälde und –modelle, alte Plaketten von Krupp Dieselmotoren, AEG Schiffbau, Siemens-Schuckert zeigen, dass über nationale Grenzen hinweg, vielfältigste Handels- und Wirtschaftsbeziehungen immer bestanden haben. Und Kriege auch mit Kriegsschiffen geführt werden, die in Feindesland gebaut sind.

Neue Moschee, Bostanlı, Izmir 2017

Neue Moschee, Bostanlı, Izmir 2017

„Ich habe mich dich verliebt!“ – etwas Romantisches soll hier auch noch geschrieben werden. Den etwas holprigen deutschen Satz sagt Axel Oğuz in einem türkischen Fernsehfilm. Axel ist Sohn einer mit hartem Akzent Türkisch sprechenden deutschen Mutter und eines türkischen Vaters. Aufgewachsen in Deutschland, möchte er seine türkischen Wurzeln kennenlernen und gerät dabei in die im türkischen Fernsehen üblichen Beziehungsdramen aller Art. So gut wie Axel möchte man als Deutscher Türkisch sprechen können – ist aber auch keine Kunst, wenn man eigentlich (blonder, blauäugiger) türkischer Schauspieler ist. Welches deutsche Sprachklischee hört man im Film auch?

„Ach so!“

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