Eine besondere Wahl

Am 10. August wird der nächste türkische Präsident gewählt. Anderswo haben Wahlberechtigte bereits ihre Stimme abgegeben. Dass Recep Tayyip Erdoğan gewinnt, gilt als sicher.
Von Ralf Rebmann, İstanbul

Hauswandhohe Wahlplakate kleben entlang des Tarlabaşı Bulvarı, eine der Hauptstraßen, die zum Taksim-Platz in Istanbul führen. Darauf zu sehen: „Milletin Adamı“, der „Mann des Volkes“, ein zuversichtlich blickender Recep Tayyip Erdoğan, der anstrebt, der nächste türkische Präsident zu werden.

Milletın (Nation bzw. auch Leute) Adamı (Mann): Recep Tayyip Erdoğan. Wahlwerbung in İstanbul, August 2014 (Foto: Ralf Rebmann)

Milletın (Nation bzw. auch Leute) Adamı (Mann): Recep Tayyip Erdoğan. Wahlwerbung in İstanbul, August 2014 (Foto: Ralf Rebmann)

Neben dem Wahlkampfslogan wurde auch ein Logo für den amtierenden Ministerpräsidenten und AKP-Kandidaten kreiert. Ein roter Halbkreis, darin ein weißer Fleck, „Das Licht am Ende des Tunnels“ soll es symbolisieren. Große Gesten also, nichts wird dem Zufall überlassen, die Präsidentschaftswahl 2014 dient als Gradmesser für die Parlamentswahl im kommenden Jahr.

Die anderen beiden Kandidaten für das Präsidialamt, Selahattin Demirtaş für die pro-kurdische HDP sowie Ekmeleddin Ihsanoğlu, Gemeinschaftskandidat der kemalistischen CHP und der rechts-nationalistischen MHP, haben sich in den vergangenen Wochen ebenfalls vorbereitet, Wahlveranstaltungen absolviert, Interviews und Wahlversprechen abgegeben.

Zeitungsschlagzeilen. Berlin, April 2014

Zeitungsschlagzeilen. Berlin, April 2014

Die diesjährige Präsidentschaftswahl ist in zweierlei Hinsicht eine Premiere. Zum einen dürfen türkische Staatsbürger ihren Präsidenten, wie beispielsweise in Frankreich, erstmals direkt wählen. Zum anderen können Wahlberechtigte auch außerhalb der Türkei ihre Stimme abgeben.

Offizieller Wahltermin ist der 10. August. Im türkischen Ausland konnte jedoch schon am vergangenen Wochenende gewählt werden. Weltweit waren rund 2.8 Millionen türkische Staatsbürger dazu aufgerufen; die Hälfte davon lebt in Deutschland. Als Wahlzentren dienten beispielsweise das Olympiastadion in Berlin, das Messezentrum in München oder die Fraport Arena in Frankfurt.

Die türkische Flagge am Berliner Olympiastadion im August 2014 (Foto: Deniz Uzundağ)

Die türkische Flagge am Berliner Olympiastadion im August 2014 (Foto: Deniz Uzundağ)

Auch Aras, 26, hat sich am Wochenende auf den Weg ins Olympiastadion gemacht. Vor drei Jahren ist er wegen seines Studiums nach Berlin gezogen. Seine Stimme hat er Selahattin Demirtaş, dem Kandidaten der HDP, gegeben. „Seine Wahlversprechen kann ich am ehesten unterstützen“, sagt Aras, „vor allem weil er linke Positionen vertritt.“

Wahlveranstaltung für Selahattin Demirtaş. İstanbul, August 2014 (Foto: Ralf Rebmann)

Wahlveranstaltung für Selahattin Demirtaş. İstanbul, August 2014 (Foto: Ralf Rebmann)

Der kurdische Kandidat Selahattin Demirtaş steht in diesem Wahlkampf für den „demokratischen Wandel“, die Stärkung von Regionalparlamenten und Minderheiten. Der 41-jährige Jurist thematisiert Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen und kritisiert, dass diese nicht strafrechtlich verfolgt würden. Er ist der einzige Kandidat, der sich offen für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzt.

Ekmeleddin Ihsanoğlu ist Wissenschaftler und ein ruhiger Diplomat. Bis vor kurzem war er noch als Generalsekretär bei der Organisation der Islamischen Kooperation (OIC) tätig. Er ist gläubiger Muslim, seine Nominierung für die säkulare CHP war eine Überraschung. Er soll auch konservative, gläubige Wähler ansprechen. Zum Missfallen mancher Kemalisten: So musste Ihsanoğlu direkt nach seiner Nominierung Vorwürfen entgegnen, er stünde nicht zu Mustafa Kemal Atatürk und der Türkischen Republik.

Wahlwerbung für Ekmeleddin İhsanoğlu. İstanbul, August 2014 (Foto: Ralf Rebmann)

Wahlwerbung für Ekmeleddin İhsanoğlu. İstanbul, August 2014 (Foto: Ralf Rebmann)

Weder ihm noch Demirtaş werden allerdings große Chancen eingeräumt. Umfragen sehen den amtierenden Ministerpräsidenten schon seit Beginn des Wahlkampfs in Führung. „Nur wegen der Wahl in die Türkei zu fliegen ist viel zu teuer“, sagt Aras. Dass er in Berlin seine Stimme abgegeben kann, hält er für einen Fortschritt. „Wenn man verfolgt, was in der Türkei politisch passiert, ist es ein Vorteil, von hier aus ein wenig Einfluss zu haben.“

Ganz ohne Bürokratie ging es jedoch nicht. Eine Registrierung bei der jeweiligen konsularischen Vertretung war notwendig. Um einen Termin zu erhalten, mussten sich die Wahlberechtigen zudem auf einem Online-Portal anmelden.

Ob wegen der komplizierten Anmeldung oder der Urlaubszeit: Der türkischen Wahlbehörde YSK zufolge hatten sich in Deutschland von knapp 1.4. Millionen Personen nur rund 92.100 für den ersten Wahlgang angemeldet. Das entspricht rund 7 % der Wahlberechtigen. In anderen Ländern, zum Beispiel Frankreich und den Niederlanden, waren die Quoten ähnlich niedrig.

Zu den Wahlurnen (sandıklar) mit den Nummern (nolu) 6-10. Berliner Olympiastadion, August 2014 (Foto: Deniz Uzundağ)

Zu den Wahlurnen (sandıklar) mit den Nummern (nolu) 6-10. Berliner Olympiastadion, August 2014 (Foto: Deniz Uzundağ)

Für die zweite Wahlrunde haben sich in Deutschland noch weniger Wähler registrieren lassen, rund 30.800. Diese zweite Runde findet vom 17. bis zum 20. August statt, vorausgesetzt, dass keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang über 50 Prozent der Stimmen erhält.

Aras glaubt, dass Erdoğan die Wahl gewinnen wird. “Es wird vielleicht knapp werden, aber im zweiten Durchgang erhält er in jedem Fall die kurdischen Stimme, da sich die AKP für eine Aussöhnung einsetzt.”

Rund 14 Millionen Kurden leben in der Türkei. Der Friedensprozess mit der PKK ist die wichtigste innenpolitische Herausforderung der türkischen Regierung. 14 Millionen Kurden müssen sich also entscheiden, ob sie Demirtaş die Stimme geben oder Erdoğan, dem der anhaltende Waffenstillstand zwischen der PKK und dem türkischen Militär angerechnet wird.

Berlin Seçim Merkezi / Berliner Wahlzentrum. Olympiastadion, Berlin 2014 (Foto: Deniz Uzundağ)

Berlin Seçim Merkezi / Berliner Wahlzentrum. Olympiastadion, Berlin 2014 (Foto: Deniz Uzundağ)

Dass der 60-Jährige überhaupt als Kandidat antreten würde, ließ er am 1. Juli 2014 verkünden. Laut Wahlordnung kann ein Ministerpräsident lediglich drei Legislaturperioden im Amt bleiben. Erdoğan ist mit der AKP seit 2002 an der Regierung, im Jahr 2015 stehen deshalb neue Parlamentswahlen an. Mithilfe eines starken Kandidaten könnte Erdoğan diese nutzen, um dem Präsidialamt mehr Befugnisse einzuräumen und, wie manche befürchten, Politik und Justiz, Presse und Zivilgesellschaft nach seinen Vorstellungen zu formen.

Diese hatten in der jüngsten Vergangenheit vor allem autoritäre Züge. Erst vier Monate ist es her, dass ausgerechnet Štefan Füle, Erweiterungskommissar der Europäischen Union, auf Twitter fragte: „Where does this end #Turkey?“. Es war eine Reaktion auf die Zensur von Twitter und YouTube, der Kriminalisierung von friedlichen Demonstrierenden während der Gezi-Proteste, Gesetzesentwürfen, welche die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen und dem türkischen Geheimdienst mehr Befugnisse einräumen, sowie der Zwangsversetzung unzähliger Polizeibeamte als Reaktion auf Korruptionsvorwürfe.

Erdoğan zeigt sich optimistisch die Wahl bereits in der ersten Runde gewinnen zu können. In dieser neuen Rolle als Präsident wolle er „alle Befugnisse in Anspruch nehmen“, die ihm die Verfassung erlaube. Frühere Präsidenten hatten diese Rolle vor allem als eine zeremonielle wahrgenommen. Dies hat Erdoğan bereits zurückgewiesen – ein „traditioneller Präsident“ wie seine Vorgänger werde er nicht sein.