Schwarzes Hühnchen, weißer Vater

Fauna, die Tierwelt, heißt auch auf Türkisch fauna. Flora, die Pflanzenwelt und im Deutschen ja buchstäblich unzertrennliche Begleiterin der Fauna, heißt auf Türkisch nicht flora. Also kümmern wir uns erstmal um die Tiere, genauer: um merkwürdig anmutende türkische Namen von Tieren, die einem beim Sprachelernen so über den Weg laufen, fliegen oder schwimmen. Solche, die in der Folge zum Nachdenken auch über schräge Tiernamen im Deutschen anregen. Der Pinguin, auf Türkisch ganz einfach penguen, gehört nicht dazu – zu harmlos.

Richtig wilde Wildtiere, vahşi hayvanlar (vahşi = wild, grausam, unzivilisiert, hayvan = Tier), die Bestien also, kommen in diesem Text nur am Rande vor. Diese Tiere haben in der Regel ihre einzigartigen und stolzen eigenen Namen: Aslan, der Löwe, kaplan, der Tiger, ayı, der Bär. Wildtiere sind die, die oft im Urwald leben, dem vahşi orman (orman = Wald). Vom vahşi kapitalizm, dem Raubtierkapitalismus, ist es nicht weit zum systemkritischen Bertold Brecht, zu seiner Dreigroschenoper (Üç Kuruşluk Opera) und zu unserem ersten interessanten Tiernamen: „Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht.“ Auf Türkisch: „Köpekbalığı dişlerini saklamadan gösterir“. Hundfisch, köpekbalığı (köpek = Hund, balık = Fisch) ist also das türkische Wort für Hai. Ist der Hundfisch ein vahşi hayvan?

Köpekbalığı, Hundfisch, heißt der Hai auf Türkisch.

Köpekbalığı, Hundfisch, heißt der Hai auf Türkisch.

Bleiben wir im Meer und bei den Fischen: Bärfisch, ayıbalığı, heißt die Robbe. Deren zweiter deutscher Name, Seehund, ist für sich genommen auch bedenkenswert: ein Hund in der See. Robbenfisch, fok balığı, oder kurz fok, sind andere türkische Namen für den Seehund. Dessen Nahrung vielleicht: Der Steinbutt, ein Fisch, der im Allgemeinen platt auf der Seite liegt und der auf Türkisch trotzdem abfliegender oder ablegender Fisch heißt, kalkan balığı.

Meeresmutter, deniz anası (deniz = Meer, ana = Mutter) – ein geradezu poetischer Name, der den schon Hunderte Millionen Jahre in stiller Schönheit  durch die Meere treibenden Quallen mehr als gerecht wird. Gerechter jedenfalls als das einigermaßen unappetitliche deutsche Wort Qualle oder auch der englische Geleefisch, jelly fish.

Welche Meeresbewohner hat die deutsche Sprache zu bieten? Meerkatzen gehören jedenfalls nicht zu den Meeresbewohnern, und sie sind nicht verwandt mit den englischen meerkats, die auf Deutsch Erdmännchen heißen und auf Türkisch mirkat. Die Meerkatzen sind Affen und halten sich vor allem auf Bäumen, äußerst selten im Wasser auf.Anders die Seekatze, eine urtümliche Fischart, von Linné wegen ihrer blauen Katzenaugen, den nagetierartigen (!) Zähnen und dem langen Schwanz so genannt. Der Meer- oder Seehase ist entweder ein zotteliger Fisch oder eine Meerschnecke und hat wohl auch mal jemanden – entfernt – an seine Wesensverwandten auf dem Festland erinnert.

Ayıbalığı, Bärfisch, heißt die Robbe auf Türkisch.

Ayıbalığı, Bärfisch, heißt die Robbe auf Türkisch.

Damit aufgestiegen aufs Festland, zunächst auf die Insel, auf der der türkische Inselhase wohnt. Adatavşanı (ada = Insel, tavşan = Hase) heißt das Kaninchen auf Türkisch. (Hasen und Kaninchen sind ja ohnehin schwer auseinanderzuhalten.). Wir streifen noch einmal kurz das Meer und schon sind wir bei den besonders niedlichen Nagetieren, den Meerschweinchen. (Gerade eben erst hat uns der Berliner Landesverband der Meerschweinchenfreunde Deutschland die neuesten Züchtungen vorgestellt!) Ursprünglich in der Pampa Zentralamerikas zuhause, kamen sie mit den Seefahrern übers Meer in unsere Kinderzimmer. Auch wenn sie als Nagetiere nicht zur Familie der Schweine gehören, gibt es in türkischen Kinderzimmern keine Schweinchen, sondern – wenn überhaupt – das kobay. Kobay ist nicht nur das türkische Wort für Meerschweinchen, sondern auch für das, was auf Deutsch das Versuchskaninchen ist. (Mein Freund Deniz kennt kobay überhaupt nicht als etwas, mit dem man kuschelt, sondern nur als etwas für Tierversuche). Ganz ähnlich dem Englischen, wo guinea pig allerdings inzwischen so stark mit dem Versuchskaninchen assoziiert wird, dass man lieber ein anderes englisches Wort für das Meerschweinchen benutzt, cavy.  Ein anderes türkisches Wort für das Meerschweinchen gibt es dann doch noch: hint domuzu, das indische Schwein.

Adatavşanı, Inselhase, heißt das Kaninchen auf Türkisch.

Adatavşanı, Inselhase, heißt das Kaninchen auf Türkisch.

Männerschwein, erkek domuz (erkek = Mann), ist die türkische Bezeichnung für den Eber, das männliche Schwein, natürlich. Aber auch ein Name für das Wildschwein, dessen zweiter Name yabandomuzu ist: Yaban mit der Bedeutung Wildnis, Einöde oder Wilder. Mit der Endung -cı entsteht aus yaban ein neues, verwandtes Substantiv oder Adjektiv: yabancı. Und das bedeutet Fremder und Ausländer, seltsam, fremd oder sonderbar. Kann man wieder mit dem türkischen hayvan (Tiere, wie wir schon wissen) verknüpfen und man bekommt seltsame Tiere, yabancı hayvanlar. Murathan Mungan, einer der erfolgreichsten türkischen Schriftsteller seiner Generation, hat ein Buch mit diesem Titel geschrieben. Das Stachelschwein gehört sicher zu diesen seltsamen Tieren. Auf Türkisch ist es kein Schwein, sondern ein Igel mit Pfeilen bzw. Stacheln, oklukirpi (oklu = mit Pfeilen, kirpi = Igel).

Devekuşu, Kamelvogel, heißt der Strauß auf Türkisch.

Devekuşu, Kamelvogel, heißt der Strauß auf Türkisch.

Welche Wirbeltiere – auf Türkisch die mit der Wirbelsäule: omur, der Wirbel, omurga, die Wirbelsäule, omurgalılar, die mit der Wirbelsäule – fehlen noch? Richtig, die Vögel fehlen noch.
Wieviel poetischer ist doch – endlich einmal – der deutsche Name Zaunkönig für den kleinen Singvogel, im Vergleich zu seinem türkischen Bruder Strauchvogel, çalıkuşu (çalı = Strauch, kuş = Vogel)! Auf Türkisch geht es bei unseren gefiederten Freunden aber natürlich auch kreativer, wie der Herrenvogel baykuş (türkisch für die Eule, bay = Herr), der Plaudervogel muhabbet kuşu (türkisch für den Wellensittich, muhabbet = Plauderei) und der Kamelvogel devekuşu (türkisch für den Strauß, deve = Kamel) beweisen.
Nicht jeder Vogel führt im Türkischen den Vogel mit im Namen: Weißer Vater, akbaba (ak = weiß und rein, baba = Vater), heißt der Geier auf Türkisch. (Und das Mittelmeer heißt auf Türkisch Weißes Meer, Akdeniz.) Zu weiß gehört schwarz: Schwarzes Moor,  karabatak (kara = schwarz, batak = Moor), wird der Kormoran genannt. Und das schwarze Hühnchen? Ist die deutsche 1:1-Übersetzung von karatavuk, der Amsel (tavuk = Hühnchen, zum Beispiel lecker im tavuk döner).

Arıkuşu, Bienevogel, heißt der Kolibri auf Türkisch.

Arıkuşu, Bienevogel, heißt der Kolibri auf Türkisch.

Der Bienevogel arıkuşu (arı = Biene), auf Deutsch der Kolibri, führt uns ins große Reich der Insekten. Die Biene ist ein Insekt; die Eselbiene, eşekarısı (eşek = Esel), auch: Und zwar das Insekt, das auf deutsch Wespe genannt wird. Die Stechmücke hat im Türkischen keinen eigenen Namen, sondern heißt nach dem, was sie ist: eine spitze Fliege, sivrisinek (sivri = spitz, sinek = Fliege).

Eşekarısı, Eselbiene, heißt die Wespe auf Türkisch.

Eşekarısı, Eselbiene, heißt die Wespe auf Türkisch.

Im Türkischen meint böcek sowohl Insekt als auch Käfer. Der Marienkäfer gilt als Glücksbringer – warum ihn nicht also gleich so nennen? Uğurböceği also (uğur = Glücksbringer, gutes Vorzeichen, bekannt auch schon von den Vornamen). Frauenkäfer, hanımböceği, ist sein zweiter Name. Ein fliegendes, glühendes Würmchen ist das Glühwürmchen auch in Deutschland nicht, sondern – biologisch korrekter benannt – ein Leuchtkäfer. Und damit nah dran an seinem türkischen Pendant Feuerkäfer, ateşböceği (ateş = Feuer). „Ich heiße wie ich wohne“: Die schon im Namen eklige deutsche Kakerlake wird im Türkischen zum exotischen Hamamkäfer, hamamböceği. Der Käfer mit den Scheren, makaslıböcek, hat im Türkischen kein Geweih wie sein deutscher Verwandter, der Hirschkäfer. Wohl weil es in der Türkei keine Hirsche gibt? Kommen wir zum Höhepunkt der türkischen Krabbeltiere, dem schleimigen Käfer sümüklüböcek (sümüklü = schleimig). Wie soll ein solch Schleimiger ein Krabbeltier sein? Geht nicht – eher doch ein Kriechtier? Auch nicht, denn sümüklüböcek ist ein Weichtier, und zwar die Schnecke (die mit Haus).

Evolutionsbiologisch schließt sich hier nicht der Bogen zu Schildkröte, Stinktier, Faultier, Murmeltier – aufgeschrieben sollen diese schönen deutschenTiernamen aber wenigstens sein. Also schließen wir einfach mit dem niedlichen Siebenschläfer. Der im Türkischen ziemlich genau so heißt: Yediuyur, sieben schlafen.

Yediuyur, sieben schlafen, heißt der Siebenschläfer auf Türkisch.

Yediuyur, sieben schlafen, heißt der Siebenschläfer auf Türkisch.

PS: Ein Tier aber doch noch: Der Truthahn, der nur im Englischen so heißt wie die Türkei selbst auch, Turkey. Und auf Türkisch wie eine Sprache bzw. Sprachfamilie: hindi.

PPS: Der Name Alfred Brehm ist in Deutschland seit der ersten Veröffentlichung seines Buches „Illustrirtes Thierleben“ 1864 Synonym für populärwissenschaftliche zoologische Literatur. Generationen wurden durch seine Tierillustrationen und -beschreibungen geprägt.
Auf biolib.de sind alle 10 Bände der 3. Auflage (1890 – 1893) von „Brehms Tierleben. Allgemeine Kunde des Tierreichs“ digital verfügbar.

In einer Rezension zu einem Buch mit Texten von Alfred Brehm schreibt Julia Voss: „Dann kam Alfred Edmund Brehm. Mit der Meerkatze Hassan und der Paviandame Atile kehrte er im Jahr 1852 als Chalihl-Effendi von einer fünfjährigen Nordostafrikareise zurück.“

Bildnachweise:
Bärfisch: Bär, Ursus arctos (Brehms Tierleben, Die Säugetiere: Band 2. www.BioLib.de) Silber-Doppelloch, Ditrema argenteum (Brehms Tierleben, Band 8: Fische. www.BioLib.de)

Bienevogel: Fasankuckuck, Centropus phasianus (Brehms Tierleben, Die Vögel: Band 2. www.BioLib.de) Mörtelbiene, Chalicodoma muraria (Brehms Tierleben, Neunter Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. www.zeno.org)

Eselbiene: Hausbiene, Apis mellifica, Königin (Brehms Tierleben, Neunter Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. www.zeno.org) Steppenesel, Equuus asinus (Brehms Tierleben, Die Säugetiere: Band 3. www.BioLib.de)

Hundfisch: Mops, Canis familiaris (Brehms Tierleben, Die Säugetiere: Band 2. www.BioLib.de) Hechtkopf, Luciocephalus pulcher (Brehms Tierleben, Band 8: Fische. www.BioLib.de)

Siebenschläfer, Myoxus glis (Brehms Tierleben, Band 2: Die Säugetiere. www.BioLib.de)

Inselhase: Hase, Lepus europaeus (Brehms Tierleben, Die Säugetiere: Band 2. www.BioLib.de) Insel Helgoland um 1929-30

Kamelvogel: Dromedar, Camelus dromedarius (Brehms Tierleben, Die Säugetiere: Band 3. www.BioLib.de) Schildrabe (Brehms Thierleben, Allgemeine Kunde des Thierreichs 1879)

Weitere Quellen:
Bertolt Brecht : Geschichten von Herrn Keuner.  Wenn die Haifische Menschen wären (susannealbers.de, Stand 25.10.2014)
Bertolt Brecht: Köpekbalıkları İnsan Olsaydı / Wenn die Haifische Menschen wären. Film, deutsch mit türkischen Untertiteln (Youtube, Stand 25.10.2014)
John-Erik Jordan: Ocean Piglets, Shield Toads and Naked Snails (babbel.com, Stand 25.10.2014)
Meerschweinchenfreunde Deutschland, Berliner Landesverband