Ein Brief aus Beylikdüzü: Die Straßen sind verlassen, wie einsam sind unsere an Gäste gewöhnten Tafeln

Beylikdüzü’nden bir mektup: Sokaklar ıssız, misafire alışkın sofralarımız ne kadar yalnız Türkçe tercümesi | Artikel auf Türkisch

Es war doch alles in Ordnung. Bevor wir vor etwa einem Jahr das Covid-19 genannte Virus kennenlernten, und bevor eine der vielleicht schwierigsten Prüfungen für unser Leben begann.

Wir leben nun seit langer Zeit ein Leben, das eine Mischung aus Hitchcock- und Science-Fiction-Filmen ist. Voller Angst, überall vom Tod umgeben, in einem Zustand des unruhigen Wartens, ohne genau zu wissen, womit wir es zu tun haben…

Evde kal!
Evde kal! Bleib zuhause!

Die Straßen sind verlassen, die Menschen sitzen in ihren Wohnungen vor Fernsehern und Computern. Treffen mit unseren Freunden gibt es nicht mehr, keine langen Gespräche bei Tee und Kaffee. Wenn wir unterwegs Bekannte treffen, ist das Virus das einzige Thema unserer Gespräche. Wir können uns nicht berühren und umarmen – wir mediterranen Menschen sind aber doch warmblütig, wir lieben die Berührung, die Umarmung. Wie groß sind die Entbehrungen, was für ein trauriger Zustand … Wir haben unsere Türen für alle verschlossen, wie einsam sind die Tafeln, die so an Gäste gewöhnt waren, wie einsam unsere Häuser.

Üsküdar
Üsküdar

George Orwell schrieb 1948 sein Buch „1984“, 1953 veröffentlichte Ray Bradbury „Fahrenheit 451“. Beide Bücher habe ich gelesen. Vielleicht liegt es an einer besonderen Psychologie, die das Ergebnis eines langen Quarantäneprozesses ist, ich weiß es nicht – aber ich habe in beiden Büchern so viel gefunden, das dem ähnlich ist, was wir gerade erleben… Vielleicht ist Geschichte wirklich nur Wiederholung. Auch wenn der Mensch manchmal glaubt, er sei Gott, sehen wir nun seit einem Jahr, wie hilflos wir eigentlich sind.

İstanbul
Istanbul

Eines macht mir mehr Angst als das Virus: Die alltäglichen Beziehungen zwischen den Menschen beeinflussen soziale Strukturen zutiefst – aber da nun der Andere aus Angst vor der Krankheit als Bedrohung wahrgenommen wird, haben die Menschen begonnen, sich voneinander zu entfernen, sich zurückzuziehen. Wir haben uns virtuellen Chats, virtuellem Einkaufen, einem virtuellen Leben zugewandt. Und leider beginnt diese Situation, normal zu werden. Die Todesnachrichten, die wir jetzt erhalten, tun nicht mehr so ​​weh wie zuvor. Und wenn ein Freund krank wird, sagten wir „Gott sei Dank, ich bin nicht krank“, anstatt ihn zu bemitleiden. Wir vereinzeln uns, werden egoistisch, und das macht uns nicht mehr traurig. Anstatt traurig zu werden, sind sich die meisten Menschen nicht einmal bewusst, dass dies der Fall ist. „Lass uns zuerst überleben, danach finden wir unsere Menschlichkeit wieder.“ In einem Film, den ich gesehen habe, sagte das ein Mann, der versuchte zu überleben, zu einem anderen.

Istanbul
Istanbul

Jeder hat seinen Weg gefunden, sich zu schützen. Ich selbst durchlebe diesen Prozess zu Hause. Ich ging nicht aus, wenn ich nicht musste. Ich lebe außerhalb von Istanbul: Da ich keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutze, habe ich nicht viel Gelegenheit, in die Stadt zu gelangen. Zudem habe ich Angst, das Haus zu verlassen. Wenn ich mein Hochhaus doch verlassen muss, versprühe ich überall Desinfektionsmittel im Aufzug und trage Doppelmasken. Beim Hinausgehen „dusche“ ich förmlich in Desinfektionsmittel. Ich lasse meine Lebensmittel liefern, auch meine Bücher kaufe ich nur noch online. Ich habe tausende Buchseiten gelesen, essen gekocht, Kuchen gebacken und mir Netflix-Serien angeschaut. Als allein lebender Mensch bin ich etwas unruhig, weil ich das Gefühl habe, vielleicht immer allein sein zu wollen, wenn die Normalität wieder eingekehrt ist. Es fühlt sich so an, als könnte ich mein Leben lang nie wieder ohne Maske ausgehen. Und ich bin sicher, ich werde weiter Desinfektionsmittel und Kölnisch Wasser bei mir tragen.

İstanbul Oyuncak Müzesi
Spielzeugmuseum, Istanbul

Ich bin Grundschullehrerin und unterrichte meine 1. Klasse nun durch Fernunterricht. Anfangs hatte ich damit Schwierigkeiten. Sich in die Augen schauen, meine Hand, die die des Kindes bei seinen ersten Schreibversuchen unterstützt, das war ich gewohnt. Früher wusste ich sehr gut über Klassenmanagement Bescheid – aber wie könnte ich diesen Prozess im Online-Unterricht steuern? Ehrlich gesagt hatte ich anfangs einige Schwierigkeiten, bevor alles auf einen guten Weg kam. Auch im Fernunterricht lernten meine Schüler lesen und schreiben, wir bastelten, sangen von Zeit zu Zeit, plauderten und haben unsere gemeinsame Zeit angenehm gestaltet. Als Lehrerin mit 25 Jahren Berufserfahrung sage ich jedoch auch: Keine andere Methode kann den persönlichen Kontakt im Präsenzunterricht voll ersetzen.

Zum Ende kann ich Folgendes sagen: Wir wissen nicht, welche Gestalt die Zukunft annehmen wird: Ob Ausbildung online stattfinden, Arbeitskraft eher von Maschinen als von Menschen geliefert oder künstliche Intelligenz die Welt regieren wird? Es gibt so viele Szenarien. Aber egal, was kommt, der Überlebensinstinkt der Menschen ist sehr stark, und wir werden uns auch weiter am Leben „festkrallen“. Mit unseren Fähigkeiten zur Anpassung werden wir mit neuen Situationen, Ordnungen und Lebensweisen Schritt halten. Weil wir leben, ohne die Hoffnung zu verlieren.

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Die Autorin lebt am Stadtrand von Istanbul, 35 Kilometer vom touristischen Zentrum entfernt. Sie ist Lehrerin einer ersten Klasse.

Beylikdüzü
Beylikdüzü

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