Laytmotif in Dresden (Abendland): Tabakmoschee, Orient-Zyklus und „Rassismus“ „Made in Dschermany“

Glaubenskrieger in einem Dresdner Wohnzimmer: „Gazi“ heißt die türkische Firma, die den Schafskäse für unser Frühstück produziert hat. Gazi ist das türkische Wort für Glaubenskämpfer, Kriegsveteran und ein Ehrentitel für islamische Feldherren. Gleich neben der Käsedose liegen Euro-Briefmarken, die die Seligsprechung des katholischen Papst Paul VI. feiern – Morgenland und Abendland in Dresden ganz nah beieinander. Glaubenskrieger-Käse und -Briefmarken passen zum Anlass der Reise: Laytmotif besucht Dresden unter anderem, um die Ausstellungen „Made in Dschermany“ und „Rassismus“ zu sehen. Und schaut sich dabei natürlich auch an, wie „orientalisch“ Dresden (schon länger gewesen) ist. Und wie deutsch.

Slavs and Tatars, Mmmmorgenländer keine Aaaabendländer, Dresden 2018

Slavs and Tatars, Mmmmorgenländer keine Aaaabendländer, Dresden 2018

„Besonders August der Starke liebte den Orient: Als sächsischer Kurfürst und späterer König von Polen inszenierte er sich mehrfach als Sultan, schickte Mitarbeiter auf Einkaufstour nach Konstantinopel und importierte für seine barocken Feste sogar Kamele und Araberpferde mit edlen Prunkreitzeugen an seinen Hof.“ ruestkammer.skd.museum

„Fotoğraf çek“, „Mach‘ ein Foto“, hört man auf der berühmten Brühlschen Terrasse, dem „Balkon Europas“ – das „Elbflorenz“ Dresden ist weiter eine Reise wert. Für die türkisch sprechenden Tourist*innen vielleicht, um in der Türckischen Cammer eine der weltweit bedeutendsten Kollektionen osmanischer Kunst außerhalb der Türkei zu sehen. Auch und gerade jetzt, wenn vor der Semper-Oper Fahnen mit dem ersten Artikel des Grundgesetzes wehen müssen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und Fahnen mit den Wortpaaren „Herzen auf“, „Türen auf“ und „Augen auf“ – Augen auf also, zwei Ausstellungen sollen sie (weiter) öffnen.

Schon vor der Fußball-Weltmeisterschaft und nur ein paar Tage nach dem Erdoğan-Özil-Foto öffnete im Mai 2018 am Hygiene-Museum in Dresden die Ausstellung „Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen“. Die richtige Zeit für eine Ausstellung zum Gestern und Heute des Rassismus in Deutschland, und der richtige Ort: Ein Kapitel der Ausstellung widmet sich der Rolle des Museums in diesem Erfindungsprozess selbst: 1912 zur Propagierung von Körperhygiene gegründet, beschäftigte es sich von Beginn an auch mit der sogenannten „Rassenhygiene“. Exponate in der Ausstellung zeigen, wie sich das Museum dann zwischen 1933 und 1945 vorbehaltlos in den Dienst nationalsozialistischer Rassentheorien stellte, mit Wanderausstellungen, Plakatkampagnen zu Volksgesundheit und Rassenlehre.

Deutsches Hygiene-Museum und Ballwerfer, Dresden 2018

Deutsches Hygiene-Museum und Ballwerfer, Dresden 2018

Vor dem Museum steht seit seiner Gründung die Skulptur eines Ballwerfers, 1911 schon zentrales Exponat der millionenfach besuchten Ersten Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden, die sich in einer eigenen Abteilung auch schon der „Rassenhygiene“ widmete. Ein idealisierter Mann „nordisch-hellenistischen“ Typs, Gegenpol zu einem Ausstellungsexponat drinnen, der schnurrbärtigen Kopfattrappe eines Mannes wohl „orientalischen“ Typs vom Anfang des 18. Jahrhunderts. Die Attrappe war Ziel für die Lanzen beim sogenannten Türkenkopfstechen, einem Geschicklichkeitsspiel am sächsischen und an anderen europäischen Höfen. Der Ballwerfer ist auch Gegenpol zu einem anderen Ausstellungsexponat, datiert auf 1936, dem dunklen, schnurrbärtigen Gipskopf „dinarischen“ Typs eines Mannes vom Balkan, zum Ertasten von Rassenmerkmalen durch Sehbehinderte. Die Ausstellung zeigt an solchen Exponaten, wie die deutsche „Völkerkunde“ seit dem 18. Jahrhundert versuchte, wissenschaftlich Menschenrassen zu definieren, ihre Stärken und Schwächen nachzuweisen, Überlegenheit abzuleiten. Und wie das in den Kolonien und in Nazideutschland zur Legitimierung von Unterdrückung und Mord benutzt wurde, wie seit dieser Zeit gepflegte Stereotypen und Rassismen bis heute weiterwirken.

Nicht nur gruselige und weithin propagierte Vererbungstheorien bis 1945 haben in diesem Prozess eine Rolle gespielt. Auch im Bereich der Kunst werden Stereotypen produziert und immer wieder reproduziert: In seiner künstlerischen Filmcollage „Durch den wilden NOrient“ (2018) schneidet der in Istanbul geborene Can Sungu Szenen aus westlichen Filmen zusammen, immer wieder listig-undurchschaubar gesprochenes „Salem aleiikum“, immer wieder keusch-aufreizende Augenaufschläge unter Kopftüchern und Schleiern. Im Museumsshop übrigens empfiehlt ein Reprint eines deutschen Vorkriegsplakats „Bemühe Dich, keusch zu bleiben. Das beste Mittel dazu sind Leibesübungen.“

Can Sungu: Durch den wilden NOrient, 2018

Can Sungu: Durch den wilden NOrient, 2018

Karl May räkelt sich in orientalischer Kostümierung im Obstgarten seines Hauses in Radebeul bei Dresden – es ist Orientparty in Sachsen, wie auf einem Ausstellungsfoto zu sehen ist. [Das Radebeuler Karl-May-Museum veranstaltet bis heute Orientalische Nächte, und die Türckische Cammer im Residenzschloss gleicht gleich komplett einer dunklen, geheimnisvollen, goldblitzenden orientalischen Nacht.] Karl May, den man hierzulande vor allem als Erklärer des „Roten Manns an sich“ kennt, hatte bis Ende des 19. Jahrhundert die sechs Bände seines Orient-Zyklus mit Kara Ben Nemsi verfasst, ursprünglich „Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreiche“ genannt. Viel Fantasie, Recherche hoffentlich, Annahmen wahrscheinlich – Erinnerungen waren das jedenfalls nicht: Karl May kam nur selten über die Grenzen Sachsens hinaus. Erst 1899, nach Erscheinen des letzten Romans, begibt er sich auf eine Orientreise, die ihn auch nach Konstantinopel führt. Und bringt sich eine Orient-Lampe mit, auch zu sehen in der Ausstellung.

Auf Dresdens Straßen mag viel über den Islam geredet werden, sein augenfälliges Zeichen, Frauen mit Kopftuch, sieht man aber hier höchst selten. In der Ausstellung dagegen erzählen zum Beispiel Seda Colak und Seyma Erdi in einem Video von ihren Alltagserfahrungen als in Deutschland geborene und lebende Musliminnen, eine mit Kopftuch, eine ohne. In einem Raum weiter hinten gehen die Datteltäter – zwei Musliminnen, zwei Muslime und ein Christ – Klischees und Missverständnisse mit Comedy-Videos wie „16 Dinge, die Kopftuchtragende Frauen in Deutschland kennen“ und „Wenn Rassismus ehrlich wäre“ an.

Königliche Kunstakademie Dresden, 2018

Königliche Kunstakademie, Dresden 2018

Am großen türkischen Restaurant Oçakbaşı vorbei, und unter dem Goldenen Rathausmann entlang, dem derselbe Athlet wie für den Ballwerfer Modell gestanden hat, führt der Weg zur Königlichen Kunstakademie. An der steht seit ihrer Eröffnung 1894 bis heute der patriotische Spruch „Dem Vaterland zu Zier und Ehr“; jetzt zeigt dort im Lipsiusbau das Künstlerkollektiv Slavs and Tatars die Ausstellung „Made in Dschermany“. Die Slawen und die Tataren, muslimische Turkvölker: Der Name weist auf das geografische und kulturelle Gebiet, in dem das Kollektiv arbeitet. Östlich von Berliner und westlich von Chinesischer Mauer, die Türkei eingeschlossen, liegt das Gebiet, aus dem sich „ihr geisteswissenschaftlich fundiertes Zusammendenken von Philosophie, Geschichte und Philologie“ (Slavs and Tatars: Wripped, Scripped, Hatje Cantz, 2018) speist. Anders als die an Informationen reiche, kategorisierende, aufklärende, auch pädagogische „Rassismus“-Ausstellung sind Slavs and Tatars assoziativ, performativ, künstlerisch, sie zitieren und verweisen. „Transdisziplinäre und interkulturelle Betrachtungen“ nennt das der Flyer zur Ausstellung. Und die regen für sich an, setzen Zeichen, und ja, machen auch Spaß – auch wenn der Katalog gleich zu verstehen gibt, dass sich das Werk von Slavs and Tatars überhaupt nur im Dreiklang aus Installationen, Publikationen und Lecture-Performances erschließen lässt.

Slavs and Tatars, El Dschihad, Dresden 2018

Slavs and Tatars, El Dschihad, Dresden 2018

Vor dem imposanten Lipsius-Bau Banner mit den Worten Dschermany, Dschender und Dschentrifizierung – ein Verweis auf die These, dass vor allem Worte aus den Deutschen fremden Kulturräumen mit Dsch geschrieben werden und oft Unbehagen erzeugen: Dschingis Khan, Dschinn, Dschihad, zum Beispiel. In der Kunsthalle selbst – wie das Neue Museum in Berlin mit dem Charme des bewusst unfertig Belassenen, Rohen, Renovierungsbedürftigen – dann auf Tapete mit islamischer Ornamentik die auf Spiegel und spiegelverkehrt gedruckten Cover von „El Dschihad“, Propagandablatt der deutschen Nachrichtenstelle für den Orient (NfO) für muslimische Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg. Scheinbar zusammenhanglos ausgestellte muslimische Kopfbedeckungen, türkische Wortfetzen aus Soundinstallationen, „Hymns of No Resistance: Young Kurds (Adapted from Young Turks)“, „The Wizard of Türkçe: Sadri Maksudi Arsal“, Tatar und Freund von Atatürk sowie Vordenker des Turkismus – schon die türkischen Teile dieser Ausstellung geben mehr als genug Inspiration zum Weiterlesen. Die Begleitpublikation verspricht mit Atatürk, Kitab-Kebap/Bücher-Kebap, „Herkes okuma öğreniyor. Jede*r lernt lesen.“, Türk Dil Kurumu (Institut für die türkische Sprache) spannend zu werden. Die deutsche Sprache ist auch Thema: Victor Klemperers Buch „LTI – Notizbuch eines Philologen“ ist Exponat der Ausstellung, in den 1940ern heimlich in Dresden zur Lingua Tertii Imperii verfasst, der Sprache des Dritten Reiches.

Aufgeklärt: Slavs and Tatars, Take that Kant, Desden 2018

Aufgeklärt: Slavs and Tatars, Take that Kant, Dresden 2018

Es ist wie in vielen anderen Städten mit Kunstbetrieb auf dieser Welt: In diesem Kunstmuseum sprechen die Menschen viele Sprachen, sind aufgeschlossen für die Probleme dieser Welt und widmen sich der Aufklärung – „Take that Kant“. Und draußen, in der „normalen“ Welt, gibt es Stadtfeste, in Dresden gerade das Canaletto Stadtfest: Bernardo Bellotto, aka Canaletto, malte 1748 „Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke“, als Canaletto-Blick heute weltbekannt. Das Stadtfest zieht sich also auch das rechte Elbufer entlang, bis hinauf zur Yenidze, im Volksmund Tabakmoschee genannt. Das Gebäude wurde errichtet für die Orientalische Tabak- und Cigarettenfabrik Yenidze, benannt nach dem Anbaugebiet von „Yenice“, der türkische Name einer heute griechischen Kleinstadt. Bellotto konnte die Yenidze noch nicht malen, weil sie erst 1908/1909 gebaut wurde. Und weil schon damals der berühmte Blick auf Dresden nicht mit Fabrik-Architektur verbaut werden sollte, kam der Unternehmer auf die Idee, seine Fabrik als Moschee zu errichten, inklusive Minaretten, einer Art Halbmond neben der großen Kuppel und einer goldenen Krone auf der Kuppel selbst. Und den großen Lettern Salem Aleikum auf dem Dach, für die Zigarettenmarke „Salem Aleikum“, bis heute als „Salem“ bekannt. Obwohl die Yenidze ohnehin etwas außerhalb des Canaletto-Blicks steht, störten sich Kritiker damals wie heute trotzdem an der „Verunstaltung“ der barocken Altstadt-Silhouette – durch das Sinnbild einer fremden Kultur.

Yenidze, Tabakmoschee, Dresden 2018

Yenidze, Tabakmoschee, Dresden 2018

Modelle der Yenidze dienten früher der Reklame für die Zigarettenmarke in Tabakläden landesweit – heute würden sie sich gut in Orient-Shops machen. Die Zeit für industrielle oder öffentliche Gebäude im Moscheengewand dürfte vorbei sein – die Zeit für orientalischen Tabakgenuss aber nicht: Bei „Jasmina – Orientalische Lebensmittel“ werden Shishas verkauft, in der Shisha Lounge daneben und anderswo wird die arabische Wasserpfeife geraucht. Soviel Orient in Dresden darf schon sein. Aleiikum Selam.

Noch bis 14. Oktober 2018: „Slavs & Tatars. Made in Dschermany“ in der Kunsthalle im Lipsiusbau Dresden
Noch bis 6. Januar 2019: „Rassismus – Die Erfindung von Menschenrassen“ am Deutschen Hygiene-Museum Dresden