Ein Turzismus, ischwör!

Die Tulpe ist als Wort und als Pflanze eine Migrantin par excellence: Im 16. Jahrhundert aus dem persisch-osmanischen Vorderen Orient nach Europa eingeführt, Gegenstand eines Börsenkrachs, heute untrennbar mit Holland verbunden, wurde sie von Europäern aufgrund ihrer Form und Farben nach tülbend (persisch: dulband) benannt, dem damaligen Wort für die in dieser Zeit üblichen Turbantücher. In der Türkei heißt die Tulpe weiter lale.

Turbane für Riesenradgondeln, Izmir

Turbane für Riesenradgondeln, Izmir

Über die Jahrhunderte wurden aus dem Türkischen immer wieder Wörter entlehnt, direkt oder über andere Sprachen als Zwischenstation. 158 solcher Turzismen – nach anderen Theorien 155 oder 160 – gibt es (offiziell) im Deutschen. „Offiziell“ heißt, mit ihrem türkischen Ursprung in den großen Standardwörterbüchern wie dem Duden vermerkt. Tendenz steigend.

Zur leicht verdaulichen Annäherung beginnt dieser Artikel, wie so vieles in der Beziehung zwischen Deutschen und Türken, mit dem – Döner! Recht frisch, der Döner, in und aus unseren Mündern, erst seit den 1970ern in Deutschland im Angebot. Die Bezeichnung „Drehfleisch“ würden sich möglicherweise die Hüter der deutschen Sprache dafür gewünscht haben: Döner ist die Abkürzung von Döner (dönmek = drehen) Kebap (allgemeine Bezeichnung für Röstfleisch). Manchmal nah am Döner, aber schon nicht mehr so offensichtlich türkisch: Der Joghurt, ein direkter Abkömmling des türkischen yoğurt (gegorene Milch). Mehr oder weniger in jedermanns Munde: Kaviar, abgeleitet vom türkischen havyar (Eiträger) und Kaffee, abgeleitet von kahve. Der Ursprung von Gulasch – ja, der ungarische Gulasch – wird auch in kul (einfacher Soldat, Sklave) und aş/ı (Essen) vermutet.

Was uns zu den Worten bringt, die in der Folge der militärischen Auseinandersetzungen mit dem osmanischen Reich den Weg in europäische  Sprachen fanden. Die Horde (auch englisch, französisch: horde) lässt sich direkt auf ordu, türkisch für Heer, zurückführen. Manche Sprachforscher verorten auch die Wurzeln von Hurra im Türkischen: Vur, ha (vur = Imperativ von vurmak/schlagen, ha = los). Eine Vermutung für den Ursprung von Heckmeck, ist das vielstimmige Rufen osmanischer Kriegsgefangener nach ekmek (Brot). Und die Schabracke wird aus çaprak, dem türkischen Wort für Satteldecke, hergeleitet. Auch wenn Schabracke im Deutschen heute eher nicht mehr eine verzierte Satteldecke, eine Zierdecke meint.

Kioske, älter und jünger, Sultanahmet, Istanbul

Kioske, älter und jünger, Sultanahmet, Istanbul

Wenn Sie demnächst an den Kiosk gehen, bedenken Sie: Ursprünglich war der Kiosk auch verziert und schön, ein köşk, ein Pavillon oder eine Villa in islamischen Parks und Gärten. Prächtig: Der Merasim Köşkü. Das Wort, im mittelpersischen gōše für Winkel oder Ecke wurzelnd, gelangte über die französische Entlehnung kiosque ins Deutsche.

158 Turzismen im Deutschen sind natürlich eine Momentaufnahme, die Grenzen zwischen Lehnwörtern und Wörtern mit gemeinsamen Wurzeln sind fließend: In welche Schublade gehören z. B. die deutschen Ziffer und Chiffre, das türkische Wort sıfır (= die Null), die englischen cipher und zero, die alle im arabischen ṣifr (= nichts) wurzeln?

Şener Özmen: Zero Tolerance (Ausstellung, Pilot Galeri, 2012)

Şener Özmen: Zero Tolerance (Ausstellung, Pilot Galeri, 2012)

Entwicklungen eher neueren Datums: Nach dem Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei vom 30. Oktober 1961 und der nachfolgenden Migration aus der Türkei nach Deutschland bereichert die inzwischen mindestens dritte türkischstämmige Generation die (Sprach-)Kultur. Mehr Kulinarisches wie Ayran, Köfte oder Baklava dürfte zu Haushaltsnamen und Duden-Einträgen werden. Ein ganz eigenes Thema ist die 1:1-Übersetzung gebräuchlicher türkischer Redewendungen in der deutschen Jugendsprache: „Ischwör“ – schon ein Wort, oder noch zwei? „Ich schwöre“ / „yemin ederim“ wird im Türkischen häufig als Bekräftigung im Sinne von echt oder wirklich gebraucht. „Ne haber, Moruk?“ / „Was ist die Nachricht, Alter?“ wurde schon im Türkischen zu „Naber, Moruk?“. Ja, was geht hier also, Alter?

Quellen:
Karl-Heinz Best: Turzismen im Deutschen (Glottometrics 11, S, 56-63, 2005)
Lehnwort (Wikipedia, Stand 05.05.2013)
Şener Özmen: Zero Tolerance (Ausstellung, Pilot Galeri, 2012)
Sven Trojanowski: Red isch Deutsch oda was? (focus.de, 24.03.2008)
Türkische Wörter in anderen Sprachen (Wikipedia, Stand 24.05.2013)
Matthias Weimer: Wie die Türken Deutschland das „Hurra“ schenkten (derwesten.de, 08.11.2009)