Laytmotif auf Reisen: Design Biennale İstanbul, Papstbesuch

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Papst Franziskus in der Türkei
Heute sind nur noch zwischen 30.000 und 40.000 Menschen in der Türkei katholischen Glaubens (ca. 15.500 in İstanbul), die katholische Kirche besitzt keinen Rechtstatus im Land. Und trotzdem ist der Papstbesuch ein politisches Großerereignis. Der Papst selbst sagt: “As you all know, I have a trip to Turkey this Friday through Sunday. Petrus is visiting his brother Andreas, with this occasion I invite you all to pray to God to send us the fruits of the peace, sincere dialogue between our religions and long lasting togetherness with the Turkish nation” (www.hurriyetdailynews.com). Der Papst wird vor İstanbul in Ankara sowohl das Mausoleum Atatürks als auch den neuen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan besuchen.

Vorbereitungen zur Absperrung der Hagia Sophia

Vorbereitungen zur Absperrung der Hagia Sophia

Hochpolitisch und brisant ist der Besuch natürlich vor Allem vor dem Hintergrund religiös motivierter Konflikte weltweit: Ein wichtiges Thema des Papstes ist die Aussöhnung im Nahen Osten. Er reist zusammen mit Patriarch Bartholomäus I., seit 1991 griechisch-orthodoxer Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel mit Sitz in Fener, İstanbul. Fener war einst Zentrum einer großen griechisch-orthodoxen Bevölkerungsgruppe in einem Land mit heute fast 99% Muslimen.

Vorbereitungen zur Absperrung der Hagia Sophia

Vorbereitungen zur Absperrung der Hagia Sophia

Abgesperrt wird das Gebiet um Hagia Sophia und Blaue Moschee. Der Papst wird die Hagia Sophia (türkisch: Ayasofya) besuchen, wichtiges Symbol sowohl  für das Christentum als auch den Islam. Seit dem Jahr 537 über Jahrhunderte Hauptkirche des Christentums wurde sie gleich nach der osmanischen Einnahme Konstantinopels 1453 zur Moschee umgewidmet und ist bis heute Vorbild für Moscheearchitektur weltweit.

Byzantinisches Mosaik in der Hagia Sophia

Byzantinisches Mosaik in der Hagia Sophia

1934 auf Anregung Atatürks in ein Museum umgewandelt, fordern islamische Gruppen heute immer wieder, auch mit Großdemonstrationen direkt vor dem Gebäude, ihre Rückumwandlung in eine Moschee. Eine wichtige Frage bei allen Papstbesuchen: Beten die Päpste in der Hagia Sophia? Oder meditieren sie?

Vorbereitungen zur Absperrung der Blauen Moschee

Vorbereitungen zur Absperrung der Blauen Moschee

Als erst der dritte Papst überhaupt soll Franziskus auch die gleich gegenüberliegende Hauptmoschee der Türkei besuchen, die Blaue Moschee (eigentlich Sultan-Ahmed-Moschee, türkisch Sultanahmet Camii). Sein Vorgänger Benedikt XVI. hatte dort mit seinem Besuch 2006 ein wichtiges Zeichen der Versöhnung gesetzt. Auch hier wieder die Frage: Wird der Papst dort beten?

An der Vatikanischen Vertretung Istanbul

An der Vatikanischen Vertretung Istanbul

Abgesperrt wird ab heute auch großräumig das Gebiet um die Vertretung des Heiligen Stuhls in İstanbul,  Außenstelle der Vatikanischen Botschaft in Ankara (und keine 100 Meter von meinem momentanen Domizil entfernt). Der Papst wird dort übernachten. Bei der Einschätzung der Sicherheitslage spielt durchaus auch eine Rolle, dass der türkische Staatsbürger Mehmet Ali Ağca das Attentat auf Papst Johannes Paul II. verübt hat.

Vorbereitungen zur Absperrung der Vatikanischen Vertretung

Vorbereitungen zur Absperrung der Vatikanischen Vertretung

Die Vertretung liegt in der Papa Roncalli Sokağı (Papa-Roncalli-Straße) – und das ist kein Zirkus. Papa heißt der Papst auf Türkisch: Unter seinem bürgerlichen Namen Angelo Giuseppe Roncalli war der spätere Papst Johannes XXIII. (il Papa buono – „der gute Papst“) 1934 bis 1944 Apostolischer Delegat und Vikar für die Türkei und Griechenland in Istanbul. In seine Amtszeit fällt der zweite Weltkrieg, in der in einer neutralen Türkei schwierige humanitäre Fragen zu Flüchtlingen aus Nazideutschland auch mit Hilfe der katholischen Kirche gelöst wurden.

Papa / Papst Roncalli, Adresse der Vatikanischen Vertretung Istanbul

Papa / Papst Roncalli, Adresse der Vatikanischen Vertretung Istanbul

Die Umgebung der Vertretung im Bezirk Şişli (Harbiye) kurz nach dem Taksim-Platz lässt sich durchaus als ein kleines Zentrum der katholischen Kirche in der Stadt bezeichnen. In Sichtweite liegt die Kathedrale des Heiligen Geistes (türkisch Saint Esprit Kilisesi), eine der katholischen Hauptkirchen, zweitgrößte römisch-katholische Kirche in Istanbul und Sitz des Apostolischen Vikariats Istanbul. Ebenfalls dort beheimatet ist das Französische Gymnasium (Fransız Lisesi) Notre Dame de Sion, 1856 gegründet und erstes Gymnasium für Mädchen im Osmanischen Reich.

An der Vatikanischen Vertretung Istanbul

An der Vatikanischen Vertretung Istanbul

PS: Und nicht zuletzt wird zum Papstbesuch die Frage thematisiert, wie sich der „Papst der Armen“ zum heiß umstrittenen neuen Regierungssitz des türkischen Präsidenten in Ankara verhalten wird. (Spiegel online vom 28.11.2014, Hürrieyet Daily News vom 28.11.2014)

2. Design Biennale İstanbul:  The Future is Not What it Used to Be…
… ist der Titel der diesjährigen Designbiennale, ausgewählt von den beiden Kuratorinnen Zoë Ryan und Meredith Carruthers. „… Neither is the Past“ schreibt der französische Philisoph Paul Valéry weiter, von dem das Zitat stammt. Es gibt auch noch ein Thema, „Manifest“. Thema und Titel zeigen, dass hier keine übliche Design-Ausstellung – ottomanisch gar – zu erwarten ist, sondern vor Allem ein Statement.  Zum theoretischen Überbau lohnt sich das art-Interview mit Deniz Ova, der Direktorin der Designbiennale, zu lesen.

Design-Biennale in der Galata Rum İlkokulu (Galata Greek Primary School)

Design-Biennale in der Galata Rum İlkokulu (Galata Greek Primary School)

Hauptausstellungsort wie schon vor zwei Jahren und auch bei der Kunstbiennale letztes Jahr die Galata Rum İlkokulu (Galata Greek Primary School). Das sehenswerte Gebäude wurde Ende des 19. Jahrhunderts für die Kinder aus der großen griechischen Community İstanbuls gebaut; wegen deren rapider Verkleinerung seit den 1950ern steht es seit den 1980ern weitgehend leer. Die großen Biennale-Transparente außen und Stoffbahnen mit Slogans im Gebäude erinnern aktuell ein wenig an bestreikte und besetzte Universitäten.

Design-Biennale in der Galata Rum İlkokulu (Galata Greek Primary School)

Design-Biennale in der Galata Rum İlkokulu (Galata Greek Primary School)

Design-Biennale in der Galata Rum İlkokulu (Galata Greek Primary School)

Design-Biennale in der Galata Rum İlkokulu (Galata Greek Primary School)

Die Design-Biennale wird organisiert von der unabhängigen Nichtregierungsorganisation İstanbul Foundation for Culture and Arts (İKSV); mehr als 60% des Budgets kommen aus der Privatwirtschaft, 18% von staatlichen Institutionen, zum Beispiel aus Mitteln des Premierministers, des Kulturministeriums, auch der Stadtverwaltung İstanbuls. (www.hurriyetdailynews.com)

Die ausgestellten Projekte von mehr als 200 Designern und Künstlern sind oft international ausgerichtet  – nicht verwunderlich, wenn Bülent Eczacıbaşı, der Direktor des İKSV, folgendes Ziel ausgibt: „The Istanbul design biennial needs to take its place on the global design map. Our aim is to introduce it to the calendar of those who are shaping the design world.” (www.hurriyetdailynews.com)

Crafted in İstanbul: Liege

Crafted in İstanbul: Liege

Interessanter sind für mich dann aber doch die Biennale-Projekte, die konkrete lokale Bezüge herstellen, die Megalopole İstanbul thematisieren. Crafted in İstanbul zum Beispiel stellt eine Feder-Liege aus Holz aus, die zusammen mit lokalen Handwerkern entwickelt und produziert wurde. Um die Liege an sich geht es nicht unbedingt, sie ist der Eyecatcher. Dem Projekt geht es zuerst darum, ein Bewusstsein für traditionelle und bedrohte Handwerkstechniken in İstanbul schaffen. Die traditionellen mahalles, Nachbarschaften, mit einem Mix aus kleinen Handwerksläden und Wohnraum sind vom Bauboom in der Stadt bedroht. Crafted in İstanbul möchte dieses Thema über die Verbindung zeitgenössisches Design und traditionelles Handwerk auf die öffentliche Agenda setzen.

Something & Son, Andrew Merritt and Paul Smyth, zeigen ihr in London geborenes Projekt „Ek-Biç, Ye-İç, Sow-Harvest-Eat-Drink“, eine Art Bibliotheksregal (kütüphane) für Pflanzen. Urban Gardening ist also nicht nur Thema in Berlin, sondern auch gerade in İstanbul, einer Stadt mit sehr wenig öffentlichen Grünflächen. „Local foodproduction in highly urbanized environments“ schreibt der Biennale-Katalog zum Projekt – und geplant ist die Eröffnung dieses urbanen Gartens am Rande des Taksim-Platzes.

Something & Son: Ek-Biç, Ye-İç, Sow-Harvest-Eat-Drink

Something & Son: Ek-Biç, Ye-İç, Sow-Harvest-Eat-Drink

Die Palamut Timeline der Chefköchin Didem Şenol mit Esra Acar und Elif Esmez, alle İstanbul, visualisiert Wege des Pelamide-Fisches (türkisch: palamut, englisch: Bonito) einer Makrelenart, seit Byzanz wichtiges Nahrungsmittel für die Menschen der Stadt. Der Fischreichtum als Grund für die ersten Ansiedlungen im Istanbuler Raum, der Palamut auf Byzanzer Münzen geprägt, das Goldene Horn früher wegen der Millionen glitzernder Fischleiber so genannt – heute nimmt der Bestand drastisch ab, weil Licht und Geräusche der Schiffe auf dem vielbefahrenen internationalen Wasserstraße Bosporus die Fischzüge stören.

BIRDY 2214 von Meriç Canatan und Fatosh Erhuy

BIRDY 2214 von Meriç Canatan und Fatosh Erhuy

BIRDY 2214 von Meriç Canatan, Türkei, und Fatosh Erhuy, Zypern, „plays with gender norms and suggest a new understanding of masculine aesthetics … from a future time, the year 2214, where civilians have adapted to constant military occupation”. Dieses Zitat aus dem Katalog wollen wir mal unkommentiert so stehen lassen.

#occupygeziarchitecture

#occupygeziarchitecture

Das Projekt #occupygeziarchitecture eines Künstler- und Architektenkollektivs visualisiert mit Fotos, Architekturzeichnungen und Texten die improvisierte Architektur während der Gezi-Ereignisse 2013: „We need new definitions for architecture in situations when architecture is removed from architects.” (occupygeziarchitecture.tumblr.com)

Atelier Bow-Wow: Public drawing

Atelier Bow-Wow: Public drawing

Beim Public drawing des Atelier Bow-Wow entstand eine gemeinsame Architekturzeichnung von İstanbuler und japanischen Studenten auf der und von der Galata-Brücke, setzt sich mit diesem Unikat über das Goldene Horn auseinander, ein ganz eigener Kosmos in mehreren Schichten, mit Restaurants, Geschäften, Anglern. Und da das Wetter jetzt wieder besser wird, könnte man jetzt auch mal wieder auf die Galata-Brücke gehen und zusehen, wie dort der Palamut geangelt wird.

Future, now!

Future, now!

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